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Wieder habliche Deutsche

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Das Phänomen des „häßlichen Deutschen“ macht sich in der EG breit. Während die Zahl der „Fußmaroden“ in der Europäischen Gemeinschaft laufend zunimmt, bildet die Bundesrepublik ein Bollwerk wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Solidität und — trumpft damit auf. Mit der sprichwörtlichen Eleganz des Elefanten stapfen bundesdeutsche Politiker im europäischen Porzellanladen herum. Symptom für die Folgen ist der Ausspruch des luxemburgischen Ministerpräsidenten Gaston Thorn: „Ich höre mir an, daß die Deutschen die Besten, die Reichsten, die Vorbildlichsten seien. Ich höre es mir zweimal an; auch dreimal — aber irgendwann kommt dann der Punkt, wo ich es nicht mehr hören will.“

Markantestes Beispiel für das unbescheidene deutsche Auftreten ist Bundeskanzler Helmut Schmidt selbst. Mit dem Charme des Hanseaten, der selbst einen Eisbären frösteln läßt, weiß er die Sorgenkinder Europas zu belehren. Den Engländern wußte er zu sagen, daß ihr Management schlafmützig sei und ihre Gewerkschaften einen anachronistischen Stil pflegten. Den Italienern bescheinigte Schmidt, daß bei ihnen infolge langjähriger Herrschaft der Christdemokraten die Verhältnisse nicht stimmten. Zu langes Regieren der Konservativen habe den Boden für die Kommunisten bereitet. Die Franzosen wieder verstimmte Schmidt mit der Bemerkung, kommunistische Regierungsbeteiligungen in Frankreich oder Italien wären nicht eben eine Katastrophe.

In Italien und Frankreich war die Reaktion auf solche Schelte durch den Regierungschef eines befreundeten Landes heftig und entschieden. Kein Wunder, daß sich die eben in den Wahlkampf begebenden Demo-cristiani über solch öffentliche Herabsetzung nicht hinwegsetzen konnten. Und auch Giscard d'Estaing, der die Gefahr einer linken Mehrheit heraufziehen sieht, konnte das Bagatellisieren der kommunistischen Gefahr durch Schmidt nur schwer hinnehmen.

Auch wenn Schmidt in beiden Fällen bei seiner Meinung blieb, war doch die Lehre zu ziehen, daß es den Bundesdeutschen wohl anstünde, die europäische Welt nicht wieder einmal „am deutschen Wesen genesen“ lassen zu wollen, sollen ernsthafte Verstimmungen vermieden werden. Die deutsch-französische Freundschaft ist nicht so unerschütterlich, daß sie jeder Belastung , ausgesetzt werden könnte.

Vielmehr wird in Frankreich gerade die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik mit Sorge beobachtet. Der Erfolg der Deutschen ist es, der Sorgen macht. Wenn sich darein noch schulmeisterliche Töne mischen, so melden sich in Frankreich schnell Stimmen, die fragen, ob die Deutschen etwa „Gendarmen Europas“ werden wollten. Am Beispiel Frankreichs zeigt es sich, wie wenig diplomatisches Fingerspitzengefühl die Bonner Politiker besitzen. Wie ein Jüngling, der die pubertären Streckungsphasen hinter sich hat und nun ungelenk überall aneckt, wird von bundesdeutschen Politikern, die die wirtschaftliche Stärke ihres Landes nicht so leicht in Politik umzusetzen wissen, gehandelt.

So wird selbst der bevorstehende Einzug der Bundesrepublik in den UN-Sicherheitsrat, den kleinere Staaten mit Anstand und Zurückhaltung absolviert haben, Anlaß für Außenminister Genscher, kühne Überlegungen anzustellen, welche weltpolitische Rolle die Bundesrepublik spielen könne. Dabei hätte eine nüchterne Bilanz der bisherigen Weltpolitik Bonns gezigt, daß zum außenpolitischen Muskelspiel wenig Anlaß besteht. Aber die Versuchung ist offensichtlich zu groß, zu meinen, daß der Satz, die Bundesrepublik sei ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg, nicht mehr stimme.

In der Europapolitik wo sich die wirtschaftliche Potenz Bonns am ehesten in politische Kraft umsetzt, ist freilich mit neureichen Belehrungen und ständigem Seibstlob wenig getan. Es macht nicht beliebt, wenn man Freunden ständig erzählt, wie gut es im eigenen Hause stehe, und wie sie es anstellen müßten, damit es ihnen ähnlich gut gehe. Genau das aber scheint zur Zeit eine Lieblingsbeschäftigung der Bonner Politiker zu sein. Sie loben ihre Wirtschaft, ihre Gewerkschaften, ihre Sozialordnung und ihre politische Stabilität — und bemerken dabei nicht, wie sie damit ihren europäischen Kollegen auf die Nerven fallen. Und das nicht obwohl, sondern weil sie im allgemeinen recht haben.

Allerdings ist das Auftrumpfen des „häßlichen Deutschen“ auch vor dem Hintergrund eines herannahenden Wahlkampfes zu sehen. Die Lehren an die anderen Staaten sind auch als Eigenlob gedacht, das die heimische Wählerschaft beeindruk-ken soll.

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