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„Wohlverhalten bringt Zinsen“

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Als der auf Vorschlag der Volkspartei in den Verfassungsgerichtshof (VGH) entsandte Hochschullehrer Erwin Melichar vor drei Jahren das Zustandekommen eines regierungsfreundlichen Erkenntnisses zum Thema Fristenlösung mit seiner Stimme unterstützte und diese Haltung auch noch in einer Festschrift öffentlich zur Schau stellte, wunderten sich noch viele. Heute, da Melichar als Nachfolger von Walter Antoniolli den Stuhl des VGH-Präsidenten besteigt, wundert sich niemand mehr: „Wohlverhalten bringt Zinsen“, lautet der bitter-ironische Kommentar so mancher Eingeweihter.

Daß es sich beim Rücktritt des bisherigen Präsidenten Walter Antoniolli um eine ausschließlich politische Demonstration gehandelt hat, ist mittlerweile völlig klar: Antoniolli ist mit seinen 70 Jahren ein „Skifahrer 1. Ordnung und Hochgebirgstourist“, weshalb er nach Ansicht des ÖVP-Ver- fassungsexperten und Nationalratsabgeordneten Prof. Felix Ermacora nicht aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niedergelegt haben dürfte. Den wenigen Antoniolli Nahestehenden aus dem Kreise seiner Berufskollegen ist hingegen bekannt, daß das „Unbehagen“ des abgetretenen Präsidenten „bereits lange zurück liegt“. Den letzten Ausschlag habe zwar das UOG gegeben, aber schon in den letzten Jahren „war Antoniolli immer wieder von der Besorgnis erfüllt, daß ein bestimmter Teil der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes nicht auf Grund sachlicher Überzeugungen, sondern aus anderen Gründen ihre Stimme abgegeben hat“.

In der Tat sitzen im Verfassungsgerichtshof unter den 14 Richtern und sechs Ersatzmitgliedem auch solche Verfassungsschützer, deren „Anbiederungsbereitschaft an die Regierungspartei in den letzten Jahren nicht gerade gering war“, wie einer der Eingeweihten - nicht der immune ÖVP- Abgeordnete Ermacora - auf den neuen Präsidenten Melichar bezogen formuliert. In einer parlamentarischen Anfrage, die Ermacora aus aktuellem Anlaß an den Bundeskanzler richtete, heißt es dementsprechend: „Wenn man die Entwicklung der Rechtssprechung des VGH in heiklen gesellschaftspolitischen Fragen verfolgt, so ist zu erkennen, daß diese Rechtssprechung immer mehr eine regierungsfreundliche Tendenz erkennen läßt.“

Heikle gesellschaftspolitische Fragen gab es in letzter Zeit nicht selten, stets hatten die Erkenntnisse des VGH deutliche Schlagseite:

• Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde der Länder Steiermark und Vorarlberg, die sich gegen die Enteignung ihrer Anteile an der Rundfunk- ges. m. b. H. richtete.

•. Ablehnung von Beschwerden gegen die Bestellung von ORF-General- intendant Otto Oberhammer.

• Fristenlösungserkenntnis ausschließlich im Sinne der Regierungsmeinung, obwohl das deutsche Verfassungsgericht bei fast gleicher

Rechtslage genau das Gegenteil befand, was um so schwerer wiegt.

• Zuletzt stand auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes das Universitätsorganisationsgesetz (UOG) zur Debatte, wobei das sich abzeichnende Regierungs-Erkenntnis Antoniolli zu seinem folgenschweren Schritt veranlaßt hat.

Die Bestellung Melichars zum neuen Präsidenten könnte aber unter einem bestimmten Aspekt auch ein kluger Schachzug der Opposition sein: Als Präsident darf Melichar nicht mitstimmen, bei Stimmengleichheit gibt lediglich seine Stimme den Ausschlag. Konkret heißt das: Obwohl die ÖVP ursprünglich Melichar entsandt hat, verliert sie nun mit seiner Bestellung zum Präsidenten keine Stimme, zumal Melichar längst nicht mehr als Mann der ÖVP gezählt wird. Die ÖVP hat dafür aber die Chance an Melichars Stelle einen „praktizierenden Schwarzen“ in den VGH neu hineinzubringen. Neben dem Sessel Melichars, der wiederholt als „2. Stimme“ des SPÖ-Star- anwaltes und VGH-Richters Wilhelm Rosenzweig apostrophiert wurde, wird aber auch jener des aus Altersgründen ausscheidenden Richters Gustav Ka- niak (der auch vom ÖVP-Köntingent stammt) neu zu besetzen sein. Wie man hört, hat die Regierungspartei der ÖVP bereits zu verstehen gegeben, daß sie deren Rechte nicht in Frage stellen wolle.

Verfassungsexperte Felix Ermacora wirft nun nach dem spektakulären An- toniolli-Rücktritt neuerlich die Frage auf, „ob es gut ist, daß ein Gericht in einer Demokratie so in sich abgeschlossen ist, wie der Verfassungsgerichtshof1. Zur Reform der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit schlägt Ermacora vor, die in anderen Ländern durchaus übliche Abgabe von „Sondervoten“ in aller Öffentlichkeit auch einzuführen. Der Gedanke dabei ist folgender: In Österreich wird stets nur das beschlossene Erkenntnis im vollen Wortlaut veröffentlicht, wodurch der Eindruck entsteht, alle Erkenntnisse seien einstimmig gefaßt. Dies trifft in den seltensten Fällen zu. Die Ansichten der Minderheit fallen regelmäßig unter den Tisch. Würde dagegen das Sondervotum, das die Mehrheit verfehlt hat, auch veröffentlicht werden, würde dies vermutlich sämtliche Richter zu mehr Sachlichkeit und besserer Argumentation zwingen.

Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf die Neuregelung des Bestellungsvorganges: Derzeit werden der Präsident, der Vizepräsident, sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder von der Regierung bestellt, die verbleibenden sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder werden von Nationalrat und Bundes rat bestellt. Dieses Regierungsübergewicht könnte durch die ausschließliche Bestellung durch die Bundesversammlung abgebaut werden. Christian Broda und Leopold Gartz, die 1969 noch solches vorschlugen, haben aber offenbar kein Interesse, ihre alte Idee aufzuwärmen.

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