Immanuel Kant Aufgeklärt religiös.jpg - © Foto: IMAGO / Winfried Rothermel

Aufgeklärt religiös - geht das?

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Für Immanuel Kant, dessen Geburtstag sich am 22. April zum 300. Mal jährt, führt echte Aufklärung zu einem humanistischen „Zweifelglauben“. Die aktuellen Entwicklungen zwischen Fundamentalismus und Areligiosität zeigen freilich in die Gegenrichtung. Eine Einordnung.

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Für Immanuel Kant, dessen Geburtstag sich am 22. April zum 300. Mal jährt, führt echte Aufklärung zu einem humanistischen „Zweifelglauben“. Die aktuellen Entwicklungen zwischen Fundamentalismus und Areligiosität zeigen freilich in die Gegenrichtung. Eine Einordnung.

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Es ist schwierig, bei der europäischen Aufklärung kleinste gemeinsame Nenner zu finden. Bei Immanuel Kant läuft Aufklärung auf selbständiges, selbstkritisches und reflexives Denken hinaus. Rudolf Langthaler, emeritierter Professor für christliche Philosophie an der Universität Wien, hat herausgearbeitet, dass Aufklärung bei Kant eine doppelte Stoßrichtung besitzt: Einerseits richtet sich die kritische Denkart bzw. der Ausgang aus „selbst verschuldeter Unmündigkeit“ gegen Aberglauben, gegen religiöse Vorurteile, Fanatismus und dogmatische Behauptungen. Kantische Aufklärung richtet sich aber auch gegen den „dogmatischen Unglauben“ und gegen den „Vernunftunglauben“. Er ist typisch für Teile der Moderne, folgt den französischen Enzyklopädisten, orientiert sich an der modernen Wissenschaft und hält Religion für überflüssig oder sogar schädlich.

Kants Konzeption von aufgeklärter Religiosität kann in fünf Bestimmungen zusammengefasst werden.

  1. Aufgeklärte Religiosität respektiert die Grenzen der Erkenntnis. Sie kennt keine Gotteserkenntnis, keine wie immer geartete höhere Erkenntnis oder esoterisches Wissen. Sie akzeptiert, dass unsere Erkenntnis dort endet, wo unsere Erfahrung aufhört: “Gedanken ohne Inhalt sind leer”. Die Aufhebung des Scheinwissens in der Metaphysik macht Platz für den Glauben. Das bedeutet keineswegs, dass die Sätze der Metaphysik und Theologie sinnlos sind. Sie sollten nur richtig verstanden werden, nämlich als analoge Reden.
  2. Aufgeklärte Religiosität ist die Religion des moralisch-guten Lebenswandels. Ausgangspunkt ist die Autonomie und Freiheit des Menschen. Kant schreibt: “Ich nehme erstlich folgenden Satz, als einen keines Beweises benötigten Grundsatz an: alles, was außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.” Der „Afterdienst“ ersetzt die eigentliche Verehrung Gottes (nämlich das Bemühen um einen moralisch-guten Lebenswandel) ausschließlich durch religiöse Praxen wie etwa kultische Handlungen. Diese werden irrtümlicher Weise für das eigentliche Zentrum der Religion gehalten. Aufgeklärte Religiosität ist außerdem kritisch gegenüber jeder Form der Instrumentalisierung des Religiösen, etwa für politische Zwecke. Sie lehnt aber auch die Instrumentalisierung von Gläubigen einer Religionsgemeinschaft oder überhaupt von allen Menschen zur höheren Ehre Jahwes, Gottes oder Allahs ab.
  3. Aufgeklärte Religiosität ist mündige Religiosität und persönlicher Glaube. Sie ist skeptisch gegenüber organisierten Religionsgemeinschaften bzw. dem, was Kant als „Kirchenglauben“ bezeichnet. Kants praktische Philosophie führt nur bis zur Schwelle des moralischen Glaubens. Dieser Glaube ist persönlich, da er eine “moralische Selbsterkenntnis" erfordert, die nur durch den einzelnen erfolgen kann.
  4. Aufgeklärte Religiosität begnügt sich mit einer symbolischen und analogen Rede von Gott, da ansonsten Dogmatismus oder Unglauben drohen. Die „Schematisierung durch Analogie” bietet eine indirekte Darstellung, um Literalismus, Anthropomorphismus, Aberglaube und Götzendienst zu vermeiden. Kants These: Religiöse Symbole wie etwa das Ideal vom Sohn Gottes sollen im Sinne der moralischen Religion interpretiert werden.
  5. Kant reduzierte Religion nicht auf Moralität, auch wenn ihm das bis heute vorgeworfen wird. Das zeigt schon der Satz, der auf den oben zitierten über den moralischen Lebenswandel folgt. “Ich sage: was derMenschtun zu können glaubt; denn, ob nicht über alles, waswirtun können, noch in den Geheimnissen der höchsten Weisheit etwas sein möge, was nurGotttun kann, um uns zu ihm wohlgefälligen Menschen zu machen, wird hierdurch nicht verneint”. Aufgrund der Grenzen unserer Erkenntnis können wir beispielsweise nichts über göttliche Gnade wissen; aber wir dürfen hoffen, das unser Unvermögen ergänzt wird. Das unterscheidet eine säkulare Moral von der “Religion der reinen Vernunft”. Diese bildet den inneren Kreis von zwei konzentrischen Kreisen; der äußere ist ein historischer Kirchenglaube. Aufgeklärte Religiosität à la Kant ist bereit, auch „überschwängliche Ideen“ wie die Trinitätslehre als ein der „Vernunft fremdes Angebot“ in Erwägung zu ziehen. Der moralische Glaube öffnet sich für „heilige Geheimnisse“, denen sich die Vernunft im Namen der „Realisierung der Idee des moralischen Endzwecks“ nicht verschließen dürfe. Der Vernunftglaube bedürfe der „Belehrung“ durch den Offenbarungsglauben, der mehr sei als nur ein „Vehikel“ zur Beförderung von Moralität.

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