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Ein neuer „Guardini“

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Das Ende der Neuzeit. Heß-Verlag, Basel 1950. 133 Selten

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Das Ende der Neuzeit. Heß-Verlag, Basel 1950. 133 Selten

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Romano Guardini vereinigt in diesem Bande drei Kapitel: „Daseinsgefühl und Weltbild des Mittelalters“, „Die Entstehung des neuzeitlichen Weltbildes*, „Die Auflösung des neuzeitlichen Weltbildes und das Kommende“. Der dritte Teil hat einige vorsichtige Prognosen über das kommende Weltbild zum Gegenstand, die in Kürze wie folgt formuliert sind: Das neuzeitliche Weltbild wird auf drei große Leitideen reduziert, die in sich ruhende Natur, das autonome Persönlichkeitssubjekt und die aus eigenen Normen schaffende und geschaffene Kultur. Gerade diese Ideen sind aber ungefähr seit den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts im Sinken begriffen. In der Natur bahnt sich etwas an, das der Verfasser die „nicht-natürliche Natur“ nennt und das er von Goethes neuzeitlicher Naturauffassung deutlich abhebt. Die Natur wird zu einem nicht mehr erlebbaren Geflecht von abstrakten Funktionen. Im Gegensatz zur Humanität der Neuzeit kommt der „nichthumane Mensch“ empor. An die Stelle der Persönlichkeit tritt die Person, der kollektive Mensch würden wir sagen. Der eigentliche Zündstoff liege im Fehlen einer Ethik der Macht. Radikale Unchristlichkeit werde es im kommenden Äon wagen, auch die letzten Säkularisationen abzustreifen, da es für die Neuzeit kennzeichnend gewesen sei, zwar die Offenbarung abzulehnen, an ihren weltlichen Auswirkungen aber teilzuhaben. So sei die ganze Personalkultur der Klassik noch solcher Haltung fähig. Die radikale nicht-christliche Existenz wird künftighin hervortreten. Was schon seit den neuen Mythologien des 19. Jahrhunderts immer klarer wird, ist ein Regressus zu scheinbar bereits überwundenen Lebensformen, die zwar in der einmal dagewesenen Art nie wiederkehren können, dennoch aber auf anderer Ebene in anderer Wesensform nunmehr wieder hervorbrechen. Oder genauer gesagt, die vom Menschen bezwungenen Es-Mächte kehren innerhalb der kulturellen Formen wieder. So sagt zum Beispiel Guardini: „Die Wildnis in ihrer ersten Form ist bezwungen: die unmittelbare Natur gehorcht. Sie kehrt aber innerhalb der Kultur selbst wieder, und ihr Element ist eben das, was die erste Wildnis bezwungen hat: die Macht selbst. In dieser zweiten Wildnis haben sich alle Abgründe der Urzeit wieder geöffnet ... Der Mensch steht wieder vor dem Chaos; und das ist um so furchtbarer, als die meisten es gar nicht sehen, weil überall wissenschaftlich gebildete Leute reden, Maschinen laufen und Behörden funktionieren.“ Damit stellt Guardini das Problem der Macht als das Kernproblem künftigen kulturellen Aufbaus hin, das nur aus einer neuen Askese und aus den heroischen Tugenden des Ernstes, der die Wahrheit will, der Tapferkeit und der inneren Freiheit bewältigt werden kann. Die „eigentliche Macht“ werde erst darin bestehen, daß , eine geistige Regierungskunst Macht über die Macht ausübt. Das Christentum wird neben dem dogmatischen besonders das praktisch-existentielle Moment hervortreten lassen. Seine Unbedingtheit wird schärfstens betont sein. In Freiheit mit Unbedingtheit auf das Unbedingte gerichtet sein, das steht kommender christlicher Haltung an. Allerdings werde die Einsamkeit im Glauben furchtbar sein. Die Liebe wird aus der allgemeinen Welthaltung verschwinden. Sie wird nicht mehr verstanden, aber auch nicht gekonnt sein. Gerade in dieser Einsamkeit und Vereinzelung wird sie aber in höchster Kostbarkeit aufleuchten — vom einzelnen zum einzelnen.

Damit gibt Guardini in seiner klaren, für alle verständlichen Sprache einige Zeitprognosen, Bruchstücke einer Geschichtsphilosophie, die in ihrer vorsichtigen, maßhaltenden Ruhe des Erwägens nur jedermann mit Gewinn lesen kann. Keine Existentialistik und kein billiger Traditionalismus, ja auch kein falscher Pessimismus kommt hier zur Sprache. Man gewinnt deutlich den Eindruck von den ungeheuren Gefahren einer inneren Aushöhlung der zivilisatorischen Formen, sieht aber auch die Möglichkeit, den Ansatz neuen Menschentums, einer Gebundenheit in der Freiheit. Damit beginnt in der Tat ein neues Zeitalter jene Epoche abzulösen, die an die Möglichkeit einer absoluten Freiheit des Subjekts glauben konnte. Somit ist es durchaus gerechtfertigt, von einem „Ende der Neuzeit“ zu sprechen. Ohne sich einer ideologischen oder politischen Etikette zu unterwerfen, klopft es die Möglichkeiten neuen Menschentums im Hinblick auf ein neues Christentum ab, und man versteht, daß diese Vorlesungen die Einleitung zu einem Pascal-Kolleg sein sollten. Denn Pascal ist ja wie kein anderer eben der Prophet und Verkünder eines Christentums, das erst in einem die Neuzeit ablösenden Äon verwirklicht werden wird.

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