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Falscher Gott im wahren Gott

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Aus früheren Ausführungen über die wesentlichsten Unterscheidungsfragen zwischen dem theosophischen und anthro-posophischen Neugnostizismus und dem Christentum hat sich uns jener als vollendete Antithese des Christentums gezeigt. Nicht mehr Götzen neben Gott wie im heidnischen Altertum und nicht mehr Gottlosigkeit wie in der materialistischen Gegenwart sind im Neugnostizismus die Gegenspieler Gottes, sondern: falscher Gott im wahren Gott ist die kurze Formel der Gefahr, das heißt der Angriff auf die Substanz des Christentums erfolgt durch Umdeutung und Aushöhlung der bisher allgemein gültigen christlichen Begriffsinhalte und Unterschiebung der eigenen bei gleichlautender Terminologie.

Der Anreiz, den der Neugnostizismus auf manche Menschen auszuüben vermag, kann verschieden erklärt werden. Man kann ihn als Reaktionserscheinung auf den platten Materialismus und sein Ansteigen als eine automatisch eintretende Nachkriegswirkung betrachten, oder man kann auch sagen, der Mensch sei überhaupt religionsmüde, weil leidensmüde geworden, er ermangle der Leidenskraft, das Kreuz der Zeit mutig zu tragen, wie es ihm das Christentum zu tun anweist, und so fliehe er in die Illusion und Spekulation, in die Sensation oder Magie, in das Geheime und Okkulte überhaupt. Dies alles mag irgendwie richtig sein. Die tiefere Ursache aber liegt in den religiös-psychologischen Hintergründen der menschlichen Natur.

Wenn der Neugnostizismus als großangelegte weltanschauliche Lüge zunächst ganz allgemein durch den trügerischen Zauber, der jeder Lüge eignet, und durch das pervertierte Motiv seines gnostischen Strebens wirkt (vgl. Gen. 3, 1—6), so ist es noch im besonderen jene dreifache böse Lust (Fleischeslust, Augenlust, Hoffart des Lebens), vor der Johannes in seinem ersten Briefe warnt, und die tief in der einzelnen Menschenseele wirksam wird, wenn sie die religiöse Wahrheit statt in der geoffenbarten christlichen Lehre im meist unverstandenen esoterischen „Geheimwissen“ sucht. Von hier aus eröffnen sich tiefe Zusammenhänge zu den drei breiten Plattformen oder Interessensphären im Neugnostizismus, die dieser dreifachen bösen Lust der „Welt“ entgegenkommen. Es sind dies sein Autonomismus, sein Okkultismus und sein Pantheismus. Durch sie verspricht er dem Menschen, der sich vom religiösen Gehorsam gegen seine Kirche losgesagt hat, daß er t u n kann, was durch sittliche Bindungen an göttliche Gebote zu tun verboten ist: = Autonomismus — Fleischeslust (im weitesten Sinn); daß er sehen kann, was verborgen ist: = Okkultismus — Augenlust; daß er werden kann, was er nicht ist, nämlich Gott und wissend wie er: = Pantheismus — Hoffart des Lebens.

Der Autonomismus, soferne er

„Habet nicht lieb die Weif, schreibt Johannes, „noch was in der Welt ist. Wenn einer die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. Denn was in der Welt ist, ist: Fleischeslust, Augenlust und Hoffart des Lebens.' (I. Joh. 2, 16.) aus dem bewußten und gewollten Bruch mit Gott resultiert, ist eine widergöttliche psychologische Grundhaltung, die den Menschen in eine dauernde innere Gewissenspannung versetzt. Um diese Spannung abzureagieren, schwärmen autonome Geister gerne aus in Gemeinschaften ohne konfessionelle Bindungen, die mit einigem ethischem Aufputz ihr Gewissen über diesen grundsätzlich vollzogenen Bruch zu beschwichtigen verstehen. Der klaren Struktur göttlicher Gebote wird ausgewichen. Solche Menschen suchen nicht die Wahrheit. Sie fühlen sich nur aus einem gewissen geistigen Ehrgeiz zu einer Gesellschaft von Adepten, die esoterische Einweihung ohne engere sittliche Bindung verspricht, hingezogen; es schmeichelt ihrem Selbstgefühl, wenn sie nicht „wie in der katholischen Massenkirche“ glauben und tun müssen, was alle glauben und tun, sondern wenn ihnen eine geistige Sonderstellung eingeräumt wird. Die Wahrheit ist ein Objektives und läßt daher die subjektiven Sonderinteressen des einzelnen da und dort unberücksichtigt. Fast automatisch setzt darum überall dort, wo ihnen das Objektive durch Dogma und Sittengesetz gebietend entgegentritt, die ressentimentgesättigte Ablehnung ein. Man „begründet“ sie durch zahllose illusorische Gerechtigkeitsmotive. Und doch ist es meist nur Schwäche des Herzens und des Willens, der einem „Du sollst nicht“ (Ehescheidung) gegenüber versagt hat. Dieses Versagen trübt die Erkenntnis und man sieht weder die Weisheit noch die Schönheit und den Wert des Gehorsams, der ja Äußerung einer inneren Liebe sein soll. Gott will Liebesgehorsam, nicht „Kadavergehorsam“. Das aber ist das, was der selbstherrliche autonome Mensch nicht leisten will und auch nicht leisten kann, weil sein Liebesvermögen in seiner starken Egozentrik verlorenging. So flüchtet er in die Verneinung und verfällt bei gegebener Gelegenheit leicht und rasch spiritueller Irreführung.

Was den Okkultismus betrifft, so kennt der moderne Mensch kaum mehr durch religiösen Gehorsam zu achtende Grenzen; er setzt sich über alles ihm durch Natur oder Gebot Vorbehaltene fraglos hinweg. Deshalb kommt es ihm auch gar nicht mehr zum Bewußtsein, daß im Okkultismus ein widergöttlicher Geist am Werke ist. Mag Okkultismus für manche eine wissenschaftliche Angelegenheit sein, für die breite Masse seiner Anhänger ist er es ganz gewiß nicht. Für sie ist nur die ungeordnete Lust bestimmend; sie heißt: Sensationsbedürfnis, ehrfurchtslose Neugierde, die ins Metaphysische vorstoßen will mit jener prik-kelnden Begier, die das Verborgene um jeden Preis entschleiern will, ohne Nachfrage zu halten; ob solch Beginnen auch mit dem göttlichen Willen übereinstimmt oder nicht. Der Okkultismus, so übergeistig er sich auch gebärdet, gebraucht rohe Gewalt den Geheimnissen des Geistes gegenüber, die er zu Schauexperimenten mißbraucht (Experimentalspiri-tismus). Er hat keine Ehrfurcht vor dem Jenseits, sondern ' zitiert seine Geister zurück in diese Welt, um mit ihnen ein läppisches Frage- und Antwortspiel zu treiben (Offenbarungsspiritismus). Auch die feineren Formen des theosophischen und die noch feineren des anthropo-sophischen Okkultismus, der sieb von jeder Medialität distanziert und in die übersinnliche (nicht übernatürliche!) Welt rein erkenntnismäßig, wie auch mittels hellseherischer Kräfte vorstoßen will, sind und bleiben gewagte Eingriffe in die gegebene göttliche Ordnung, die Gott mit schwerer Verblendung beantworten mag. Gesellt sich noch der esoterische Hochmut dazu wie im Neugnostizismus, so bedarf es eines Wunders der Gnade, um einem solchen Menschen die Augen über seinen religiösen Zustand zu öffnen.

Der Pantheismus aber ist der Boden, aus dem die widergöttliche Lust der Hoffart des Lebens aufsteigt. Diese Lust will das Geheimnis der göttlichen Liebe, wonach der Mensch nach Gottes „Bild und Gleichnis“ (Gen. 1, 16) geschaffen und zu seiner Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit, nicht aber zur Wesensgleichheit berufen wurde, zuschanden machen. Der Pantheismus in der arteigenen Form der neugnostischen Esoterik stellt jene Zinne der Versuchung dar, von deren eiskalter Höhe usurpatorischer Herrlichkeit keiner zurückkehrt, um wieder Mensch zu sein. Er kehrt nur zurück im Sturz des Gerichts, da er mit Satan, seinem Verführer, von seinem angemaßten gottesräuberischen Thron wie der Blitz vom Himmel fahren wird.

Es ist also diese Summe dreifacher böser Lust, die den übrigen psychologischen Motiven, die ein Mensch haben kann, wenn er sich dem Neugnostizismus zuwendet, latent zugrunde liegt und sie ganz wesentlich mitbestimmt. Ein Mensch, der sich ihr bewußt überläßt, wird zunächst die große Leere, die jeder Abfall im Innern des Menschen durch den Verlust der göttlichen Gnade verursacht, nicht gewahr werden. Er wird die Totenstille, die in seine Seele eintritt, mit der Ruhe des Besitzes nach der Unruhe seines Suchens verwechseln. Für eine Zeit lebt er in einer geistigen Betäubung. Denn plötzlich wird das Gutsein so leicht. Man entwickelt einen Eifer, den man für den angestammten Glauben nie aufgebracht hat. Aus welcher Kraft? Hier ist zu sagen: Alle Dinge außerhalb der göttlichen Ordnung sind leicht. Sie sind schwer innerhalb der Ordnung, weil der Mensch dazu eine gültige Anstrengung braucht, das heißt eine von Gott durch das Sittengesetz verlangte. Denn an die Überwindung dieser Schwere, die eine Folge der Erbsünde ist, hat Gott den sittlichen Aufstieg des Menschen gebunden. Grundsätzlich ist der Mensch durch Christus erlöst, aber die Folgen der Erbsünde hat Gott belassen, nicht nur zur Strafe allein, sondern zur sittlichen Erprobung des Menschen. — Die Dinge außerhalb der göttlichen Ordnung aber sind leicht, weil sie dem Gesetz des Falles folgen. Die an sich gute Tat ist nur gut im natürlichen, nicht aber im übernatürlichen Sinne, wenn sie außerhalb der göttlichen Ordnung gesetzt wird, ja sie wird Sünde, wenn sie zum Nutzen einer gottfeindlichen Lehre vollzogen wird. Sünde aber ist ein Fall und kein Aufstieg.

Wenn wir den inneren Weg überdenken, den ein Mensch nimmt, der dem Gesetz dieses Falles folgt, so steht am Ende immer dasselbe Phänomen: der Mensch fällt in allen seinen Strebungen auf sich selbst zurück. Das Zurückfallen aber auf sich selbst ist der wesenhafte Stolz; er steht grundsätzlich gegen die (Erlösungs-) Gnade, auf der das Christentum gründet. Das Leben eines jeden Menschen ist die Frucht seines innersten Willens, und so gilt das Wort des hl. Augustinus: „Das Blut Christi ist für dich, wenn du willst; es ist nicht für dich, wenn du nicht willst.“

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