Verbleichende Religionspsychologie

Der Name Jungs ist für immer mit der Bresche verbunden, die sein Werk in das materialistische Vorurteil schlug, wonach die Seele nichts anderes sei als ein Epiphänomen organischer Gehirnprozesse. Indem er die Psyche als Grundmacht menschlicher Existenz herausstellte, konnte er weiterschreiten bis zur Betrachtung der Religion, konnte er herausfinden, daß dem Unbewußten auch jener Menschen, die jeglicher Religion bewußt passiv oder negativ gegenüberstehen, permanente religiöse Prozesse eignen. Das war, von der Wissenschaft her gesehen, eine ungeheure Entdeckung und bedeutete, daß die Diskussion über die Religion schlechthin auf eine neue Basis gestellt wurde, von wo aus sie in bestimmten Kreisen unserer Gesellschaft wieder Einzug in das Denk- und Weltbild halten konnte, woraus sie durch logische Trugschlüsse ausgeschaltet worden war.

Die vorliegende Publikation, die als elfter Band des Gesamtwerks herauskommt, nachdem die einzelnen Untersuchungen zuvor verstreut erschienen waren, schließt sich den vorangegangenen und vom Rascher-Verlag repräsentativ und mit Akribie herausgegebenen zehn Volumina würdig an. Die Hauptkapitel (Psychologie und Religion Versuch einer psychologischen Deutung des Trinitätsdogmas Das Wandlungssymbol in der Messe Kommentare zum Tibetischen Buch der Großen Befreiung, zum Tibetanischen Totenbuch, zum Orakel I Ging, über den indischen Heiligen und die östliche Meditation sowie besonders die berühmte „Antwort auf Hiob“ und über Psychotherapie und Psychoanalyse und Seelsorge) umfassen einen Stoff, in dem nicht allein der Theologe fruchtbare Argumente für seine Arbeit in der modernen Welt, sondern auch der durch entsprechendes Studium, etwa durch die Teilnahme an den theologischen Laienkursen, ausreichend vorgebildete Laie einen wichtigen Teil jenes Materials findet, das er kennen und verstehen muß,

wenn er sich religiösen Disputationen mit jenen Menschen stellen will, die mit dem innerkirchlichen Vokabular allein nicht ansprechbar sind, die aber stattdessen mit mehr oder weniger vagen Begriffen, deren sie durch Popularliteratur habhaft wurden, umzuspringen belieben.

Aus Jungs Gesamtwerk wie besonders aus dem vorliegenden Band resultiert, wie total die menschliche Psyche auf Gott hin zugeordnet erscheint — nicht anhand unbeweisbarer Glaubensakte, sondern tausendfältiger, mit strengstem wissenschaftlichem Ethos untersuchter Einzelfakten, die bis in Einzeldetails religiöser Phänomene reichen, selbst bis zur katholischen Dogmatik, die sich ihm nicht nur als Quintessenz religiöser Erfahrungen, sondern auch als Schutzmacht gegen die schismatische und zersetzende Wirkung individueller Offenbarungen darstellt (zum Beispiel durch Träume und Visionen), die dort, wo kein Dogma waltet, notwendig zum Sektierertum führen müssen.