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Wilhelm Schmidts posthumes Werk

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Gebräuche des Ehemannes bei Schwangerschaft und Geburt. Mit Richtigstellung des Begriffes der Couvade. Von Wilhelm Schmidt. Herold-Verlag, Wien. 377 Seiten. 120 S

Die beliebte Waffe aus dem Arsenal des Evolutionismus ist die These: Der primitive Mensch steht dem Affen näher als dem hochentwickelten Kulturmenschen (Pithekometra-These, H u x 1 e y). Er sei noch nicht fähig, logisch zu denken („prälogischer Mensch“, Levy-Bruhl); daher kenne er noch nicht den Kausalzusammenhang zwischen Geschlechtsakt, Konzeption, Schwangerschaft und Geburt (sogenannter „Konzeptionalismus“); aus Unkenntnis dieses Zusammenhanges lege sich bei den Primitiven daher statt der Frau der Mann bei der Geburt eines Kindes ins Wochenbett (sogenannte „Couvade“).

Mit all diesen Konfabulationen einer evolutioni-stischen Ethnologie wird in diesem nachgelassenen Werk des großen Wiener Ethnologen Wilhelm Schmidt gründlich aufgeräumt: nicht durch Polemik, sondern durch eine Fülle einwandfrei festgestellter Tatsachen.

Schmidt zeigt, daß das, was die Ethnologie bisher als „Männerkindbett“ (Couvade) bezeichnete, in der eigentlichen „schweren“ Form als Bettruhe und Hausaufenthalt bei sorgfältiger Pflege des Mannes und früher Arbeitsaufnahme der Frau nur in Ausnahmefällen vorkommt. Viel häufiger sind Andeutungsformen, die er als prä- und postnatale Maritalgebräuche bezeichnet. Er zeigt vor allem, daß diese Gebräuche einen viel tieferen Sinn haben, als ihn die bisherigen Fehldeutungen sahen. Diese Gebräuche beweisen eindeutig eine Hauptthese von Schmidt: Die tiefe Verwurzelung der Monogamie bei allen echt ursprünglichen Primitiven. Sie sind weitgehend unabhängig von der sozialen Geschlechterordnung; sie kommen sowohl bei patriarchalisch wie bei matriarchalisch orientierter Ordnung vor; bei eisterer mehr in der Form pränataler, bei letzterer mehr in der Form postnataler Gebräuche. Beide bildeten ursprünglich eine Einheit (prä- und postnatale Gebräuche), die auf ein primäres Gleich-recht von Mann und Frau hindeutet, bei aller Wahrung der naturgegebenen Differenzierung. Der Mann will durch die Form der Couvade, soweit sie besteht, nicht nur das Kind als das seine anerkennen, sondern seine wesentliche Mitwirkung an dessen Entstehung zum Ausdruck bringen. Bei vielen, sehr ursprünglichen Stämmen wird diese Mitwirkung als aktives Zeugungsprinzip sogar höher eingeschätzt als die doch augenfälligere Mitwirkung der Frau — wie dies übrigens kein Geringerer als St. Thomas lehrt. — Neben diesem spekulativen Grund spielen auch emotionale Gründe eine Rolle: Der Mann will auch Anteil nehmen an den Schmerzen der Frau und ihr seine tiefe Verbundenheit zum Ausdruck bringen. Bei der Geburt eines außerehelichen Kindes gibt es weder „Couvade“ noch Maritalgebräuche. Die Bezeichnung „Couvade“ wäre als unwissenschaftlich fallen zu lassen. Dafür nimmt der Kindesvater in den prämaritalen Gebräuchen so manche Entbehrung auf sich: Von dem feierlichen Augenblick an, da ihm die Gattin von der Konzeption Mitteilung macht, bis zum Abfall der Nabelschnur des Kindes. Diese Tatsachen verweisen den verallgemeinernden Konzeptionalismus in das Reich der Fabel. Die Maritalgebräuche sind voll von zartester Rücksichtnahme auf die Frau; sie äußern sich in einer Fülle von „Tabus“, die alle darauf hingeordnet sind, daß der Frau und dein Kinde kein Leid geschehe und die Geburt gut verlaufe. Man kann geradezu von einer hochentwickelten vorgeburtlichen Hygiene sprechen. Dabei ist der Geburtsvcrlauf bei den Primitiven durchaus nicht so komplikationslos, wie es die Fabel behauptet. Die „Tabus“ sind ein einziger Ausdruck der Ehrfurcht vor dem keimenden Leben und der liebenden Sorge um die Frau: „evidence of sacredness with which they guard the dearest hope of their married life“ (Garvan). „Niemand wird so verhärtet sein, das Tabu vorsätzlich zu brechen“ (p. 103). Schmidt stellt fest, daß hierin das allgemein Menschliche oft in rührender, tiefbewegender Art am Werke ist (p. 70).

Wenn Darwin von den Yamana auf Feuerland behauptet hatte, daß bei ihnen nicht die geringste Spur religiösen, ethischen oder geistigen Lebens zu finden sei, so ist diese Konfabulation durch die Forschungen von G u s i n d e und Koppers an Ort und Stelle widerlegt worden. Das posthume Werk seines großen Lehrers Schmidt wird die Fabeln des Evolutionismus endgültig aus dem Bereich der Wissenschaft verweisen.

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