Tschetscheninnen - © Foto: APA / Hans Punz

Exil-Tschetschene: Youtube-Video als Todesurteil

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Via Kopfschuss wurde Mamichan U. auf einem Parkplatz bei Wien regelrecht hingerichtet. Was wusste der Asylwerber? Wer wollte, dass er stirbt? Hintergründe eines mutmaßlichen Politkrimis.

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Via Kopfschuss wurde Mamichan U. auf einem Parkplatz bei Wien regelrecht hingerichtet. Was wusste der Asylwerber? Wer wollte, dass er stirbt? Hintergründe eines mutmaßlichen Politkrimis.

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Er muss gewusst haben, was kommen wird. Vermutlich zehn Tage oder knapp ein Monat vor seinem Tod auf einem Parkplatz in Wien Gerasdorf führt Mamichan U., alias Martin B. oder Ansor A., ein Telefonat. Eines, das er mitaufnimmt und weiterleiten wird. Sein Gegenüber: Elena Denisenko, jene mysteriöse Ukrainerin, mit der er seit Jahren in Kontakt gestanden war und der er sensible Informationen übergeben hatte. Es ist ein Gespräch wie eine Nachlassverwaltung. Dass Blut fließen wird, ist klar zu diesem Zeitpunkt. Die Frage ist nur: Seines oder seines und das seiner gesamten Familie.

FSB-Agenten in Kiew

Die einleitenden Freundlichkeiten können über den Inhalt nicht hinwegtäuschen: Knapp zuvor hatte Denisenko Mamichans Frau angerufen und sie aufgefordert, sich per Video oder Audiobotschaft von Aktionen ihres Mannes zu distanzieren. Seit Ende Februar 2020 hatte Mamichan U. über Youtube Beschimpfungen gegen Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow losgelassen, dessen Regierungsstil kritisiert. Massive Morddrohungen waren die Folge. Und wie aus dem Umfeld von Mamichan U. zu hören ist, war genau das das Ziel: Penibel habe er Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Kontakte der Droher gesammelt und an österreichische Behörden weitergeleitet – zugleich aber das Angebot auf Personenschutz abgelehnt.

Ob sie denn die Sicherheit seiner Familie garantieren könne, fragt Mamichan U. Denisenko in dem Telefonat. Das müsse sie abklären. In welcher Form das Video oder Audiomaterial gestaltet sein solle, fragt Mamichan U. Video sei wohl besser, sagt Denisenko. Auf Tschetschenisch. An wen sie das Video weiterleiten werde und mit wem sie darüber gesprochen habe, dass sich seine Frau von ihm distanzieren solle, um sich zu retten, fragt Mamichan U. mehrmals. Das könne sie nicht sagen, antwortet Denisenko immer. Mamichan U. beschuldigt sie letztlich, für den russischen Geheimdienst FSB zu arbeiten. Blödsinn, sagt sie. Es gebe offen agierende FSB-Leute in Kiew und verdeckt agierende, sagt Mamichan U. Viele Leute gebe es in Kiew, sagt Denisenko. Denisenko ist nicht unbekannt in der Ukraine. Sie betreibt einen ukrainisch-tschetschenischen Freundschaftsverein in Kiew und tritt immer wieder in Medien auf, wenn es um Tschetschenen geht, die in der Ukraine auf Seiten Kiews kämpfen.

Der Zeitpunkt war kein Zufall

Und der Zeitpunkt des Telefonats war wohl kein Zufall: Knapp davor war ein Interview Mamichan U.s mit dem ukrainischen Youtube-Kanal Swobodny veröffentlicht worden, in dem das spätere Mordopfer frei heraus plaudert. Und Mamichan U. hatte so einiges zu plaudern: Für drei Morde in der Ukraine war er 2014 angeheuert worden. Zugleich aber suchte er Kontakt zu ukrainischen und den österreichischen Behörden, denen er Details darüber weiterleitete, während er gegenüber seinen Auftraggebern den Anschein wahrte, die Morde ausführen zu wollen. Und die Sammlung Mamichan U.s hat es in sich: Da finden sich etwa Tonbandmitschnitte von Telefonaten mit Leuten aus dem engsten Umfeld des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, Geldsummen und Zahlungsmodalitäten werden da verhandelt. Über knapp eineinhalb Stunden führt Mamichan U. in dem Interview Details aus.

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