Türkischer Geheimdienst in Österreich: Die Staatskunst der Abschiebung
Ein Ex-Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT gesteht, er habe den Auftrag des MIT, eine Wiener Grün-Politikerin zu ermorden. Er wird verhaftet, aber kurz vor Prozessbeginn abgeschoben. Justiz und Innenministerium schweigen. Geschichte einer ungereimten Affäre.
Ein Ex-Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT gesteht, er habe den Auftrag des MIT, eine Wiener Grün-Politikerin zu ermorden. Er wird verhaftet, aber kurz vor Prozessbeginn abgeschoben. Justiz und Innenministerium schweigen. Geschichte einer ungereimten Affäre.
Dreieinhalb Monate dauert er schon, ihr Lockdown. Dreieinhalb Monate mit Polizei vor der Tür; dreieinhalb Monate, in denen die Berîvan Aslan, Grüne Gemeinderätin in Wien, jeden Besucher, jede Bewegung außer Haus, jedes Treffen den Behörden melden muss. Es war am 15. September, als sich ihr Leben schlagartig änderte: Es war der Tag, an dem Feyyaz Ö. in die Polizeistation am Schottenring marschierte und zu Protokoll gab, vom türkischen Geheimdienst MIT auf die Politikerin angesetzt worden zu sein. Morddrohungen sind nichts Neues für Berîvan Aslan, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder laut gegen das Erdoğan-Regime in der Türkei geäußert und dessen Machenschaften in Westeuropa kritisiert hatte – und aus ebendiesen Kreisen entsprechend bedroht wird. Das aber war eine ganz neue Dimension. Ein Anschlag sollte es laut Feyyaz Ö. werden, ein Signal, eine Botschaft. Ob Berîvan Aslan überlebe oder nicht, sei seinen Auftraggebern egal. Er jedenfalls, so Feyyaz Ö., habe nur mehr auf das Startsignal gewartet.
Und dreieinhalb Monate später: Der Polizeischutz für Berîvan Aslan ist aufrecht – und demnach laut Einschätzung der österreichischen Behörden auch das Bedrohungsszenario gegen die Wiener Gemeindepolitikerin. Der Mann allerdings, der sie ermorden sollte, – Feyyaz Ö. – ist auf freiem Fuß. Laut britischen Medienberichten ist er in Nordafrika untergetaucht.
Kurze Prozesse
Es waren Feyyaz Ö.s Anwälte, die die Verlängerung der U-Haft vor Weihnachten beeinsprucht hatten. Es war die Staatsanwaltschaft Wien, die dem stattgab. Weitere zwei Monate seien aufgrund des Strafrahmens nicht angemessen, so die Beurteilung. Und es war schließlich das Innenministerium, das nach der Freilassung überraschend ein Aufenthaltsverbot über den soeben Entlassenen verhängte. Die Folge: Der Geständige, der einen italienischen Pass besitzt, wurde nach Italien abgeschoben. Von dort dürfte er sich weiter abgesetzt haben.
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