Christliche Politik ist Widerstand

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In der Alltagspolitik darf nicht auf die Utopie einer menschenwürdigen Gesellschaft vergessen werden.

Ich wurde streng katholisch erzogen. Der katholische Glaube wurde nicht nur gepredigt, sondern gelebt. Gerechtigkeit war ein wichtiger Punkt, der in kleinsten Dingen beachtet wurde. Zum Beispiel wurde beim Verkauf der Eier unserer Hühner genauestens der aktuelle Marktpreis verlangt, und jeder Groschenbetrag zuviel hätte enorm schlechtes Gewissen bereitet. Diese strengen Leitlinien betrafen allerdings "nur" das persönliche Handeln (das ist eine enorme Aufgabe und Leistung, die mich tief beeindruckt), nicht jedoch die Gesellschaft. Politik galt als schmutziges Geschäft, vor allem linke Politik. Aufbegehren gegen die Herrn "gehört sich einfach nicht".

Schon in meiner Kindheit wurde ich aber durch die Mitarbeit in der Pfarre mit den Fragen des Welthungers, des Krieges und der Menschenrechtsverletzungen konfrontiert: "Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, warum verhungern Menschen, warum erschießen sich Menschen im Krieg?" Die Antwort auf diese Fragen fand ich in der ArbeiterInnenbewegung. In meinem Fall war es die Sozialistische Jugend, es hätte auch die Katholische ArbeiterInnenjugend oder eine kirchliche Dritte-Welt-Gruppe sein können.

* Wir müssen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen erkennen: Not und Elend, ob im reichen Norden oder im arm gehaltenen Süden, sind kein Schicksal, sondern die Folge von ungerechten Strukturen, die die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer machen.

* "Jeder und jede ist wichtig, gemeinsam sind wir stark." Ein Einzelner, eine Einzelne kann auf sich allein gestellt wenig oder gar nichts verändern, gemeinsam mit anderen kann viel erreicht werden. Ein Beispiel ist der Sozialstaat, der von unseren (Ur-) Großvätern und (Ur-) Großmüttern erkämpft wurde.

* Reformen sind wichtig, jedes Stück mehr Mitbestimmung in Österreich ist ebenso notwendig wie jedes Projekt gegen Welthunger im Süden. Aber in den Anstrengungen der Alltagspolitik darf nicht auf die Utopie einer menschenwürdigen Gesellschaft und Wirtschaft vergessen werden, in der wirklich der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht das Geld, der Profit, der Standort.

Es ist zuwenig, selber nicht zu stehlen, ein Christ, eine Christin muss dem weltweiten Diebstahl an den Armen entgegentreten. Es genügt nicht, nicht zu töten oder das Töten nicht zu lernen. Es muss der neue, internationale Trend, mit militärischem Dreinschlagen Konflikte zu beseitigen, bekämpft werden. Die Ursache der Nationalitätenkonflikte wie soziale und wirtschaftliche Unsicherheit müssen beseitigt werden.

Wir müssen lernen, kritische Fragen zu stellen: Wem dient die Gentechnik? Wer kontrolliert ihre Auswirkungen? Geht es darum, die Menschen zu heilen, oder geht es darum, den "Supermenschen" zu erzeugen? Wem dient die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten und der Arbeitszeitregelungen? Wem dient eine private Gesundheitsvorsorge oder die Zerschlagung der öffentlichen Sozialversicherung? Wem dient das Gegeneinanderausspielen der Menschen aufgrund verschiedener Nationalitäten? Geht es den "anständigen Österreichern" wirklich besser, wenn es den anderen schlechter geht?

Christliche Politik muss Machtverhältnisse aufzeigen, gemeinsame Aktivitäten gegen Ungerechtigkeit organisieren und die Betroffenen zum Widerstand motivieren. Der Amstettner Betriebsseelsorger Franz Sieder sagt: "Christliche Politik ist eine linke Politik." Das ist ein anderes Wort für unsere jüdisch-christliche Tradition: "Gerechtigkeit und Friede küssen sich." Dieser Satz aus Psalm 85 kann das Motto jeder Demonstration gegen die neoliberale Globalisierung und gegen den atomaren Wahnsinn sein.

Der Autor ist ehrenamtlicher Mitarbeiter in der ArbeiterInnen- und Friedensbewegung, Mitglied des Vorstandes der Internationalen Liga der Religiösen SozialistInnen (ILRS) und Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS).

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