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Der Weg aus dem Irrtum

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Darum bitte ich Euch aus meinem zerquälten Harzen: Laßt mich in Frieden aus der Partei scheiden. Ich sehe keine andere menschliche Möglichkeit, die Partei von einer Verlegenheit, die ich für sie zu werden drohe, zu befreien und mich vor Zweideutigkeiten zu bewahren. Laßt mich in Frieden scheiden!

Wenn Ihr dieses mein Austrittsgesuch mit den üblichen Beschimpfungen und Diffamierungen beantworten und meine Treue zur Kirche als ein „Zurücksinken in den Sumpf reaktionärer Ideologien“ interpretieren würdet, so wäre das für mich .überaus schmerzlich, aber ich werde es tragen und mich bemühen, mich niemals in eine Haltung des Hasses drängen zu lassen. Mein Beitritt zur KPÖ Im Herbst 1945 war ein Irrtum. Ist es nicht richtig, einen Irrtum, wenn er als solcher erkannt ist, einzubekennen und zu widerrufen?

Abschließend möchte ich nicht darüber hinweggehen, daß das Christentum während s.einer Geschichte sowohl auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Erkenntnisse wie der gesellschaftlichen Wirklichkeit konkrete Ergebnisse hervorgebracht hat. Und doch darf das Christentum ebensowenig als eine besondere Soziallehre (neben anderen) aufgefaßt werden, wie die Kirche als eine politische Kampforganisation, unbeschadet für welche Ziele, verstanden werden kann. Die ideologischen und praktischen Ergebnisse, die von Christen auf dem Boden der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirklichkeit hervorgebracht worden sind, unterliegen einer doppelten Selbstkritik: erstens einer Kritik, die ihre Argumente aus den technischen Erfordernissen dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirklichkeit selbst holt; und zweitens einer Kritik, die aus dem Glauben an die Frohbotschaft und aus ihrem Geiste ausgeübt wird, einer Kritik also, die, wie der Dominikaner Desroches überzeugend darlegt, wenn sie sich nicht in historische Bedingtheiten gefangen gibt, sich über alle diese Einzelergebnisse erhebt, über sie zu Gericht sitzt und sie verwirft oder sie, früher oder später, sanktioniert.

Der Marxismus trägt in sich Elemente eines Materialismus, eines Kollektivismus, eines Atheismus, die in ihrer Erstarrung dem widersprechen, was der christliche Humanismus in sich an Transzendenz begreift: Transzendenz des Geistes über der Materie, der Person über der Gesellschaft, Gottes über der Welt. In dieser Erstarrung halten ihn manche von denen gefangen, die den

Marxismus verteidigen, und sehr viele von jenen, die gegen ihn in Stellung liegen. Wäre der Marxismus nicht mehr als solcher Materialismus, Kollektivismus und Atheismus, so könnte die Auseinandersetzung mit ihm für den Christen vergleichsweise einfach sein. Ich sehe aber, daß er mehr sein kann und soll. Darum muß sich der Christ ernsthaft bemühen, in seinen gesamten Gestaltenreichtum einzudringen, wie man etwa im Mittelalter in die klassischen Texte, etwa eines Heraklit, Plato oder Aristoteles, eindrang, um sich ihren Wahrheitsgehalt anzueignen, also mit Ehrerbietung, wie man damals sagte. Diese Forderung wird vielen meiner Glaubensgenossen mißfallen und von Euch vor allem jenen, die auf „Aktivitäten“ drängen. Ich für meine Person möchte diesem Anliegen unserer Zeit in voller Freiheit dienen. Verlangt darum von mir nicht, daß ich ein anderer werde als ich bin: nämlich ein gläubiger katholischer Christ, der nur auf dem Boden der Kirche leben, denken und wirken kann.

Weder um einen „christlichen Marxismus“ noch um eine „antimarxistische Christlichkeit“ geht es: beide Konzepte wären, aus verschiedenen Gründen, widerspruchsvoll in sich selbst. Aber jenseits des Gemeinsamen und des Trennenden gibt es die Welt der lebenden und freien Menschen. Und in dieser Wirklichkeit gibt es Wege, die in die Zukunft führen; gibt es Wege, die zu Gott führen, um dieses Lebens und um dieser Freiheit willen.

Auf diesen Wegen können Begegnungen nicht vorhergesehen, aber sie können erhofft und erbetet werden.

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