Von der Mitte an den Rand

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Über das, was wir aus den Anschlägen von Norwegen (nicht) lernen können, wie mir mit solchen Schocks umgehen, und über den viel gebrauchten Begriff der geistigen Mittäterschaft und die damit verbundenen Schwierigkeiten.

Das Unfassbare fassbar zu machen ist eine der stärksten Antriebskräfte des Menschen. Dieser Impetus brachte und bringt zahlreiche große Geistes- und Kulturleistungen hervor, er steht an der Wiege von Aufklärung, Humanismus und moderner Wissenschaft. Dabei stößt der Mensch freilich immer wieder an Grenzen - solche, die sich durch intensiviertes Forschen, mithilfe neuer Technologien und Methoden überwinden lassen, aber auch solcher, die gewissermaßen "systemimmanent“ sind: weil es einen Rest an Unerklärlichkeit und Irrationalität gibt, der paradoxerweise mit zunehmendem Wissen nicht kleiner, sondern sogar größer zu werden scheint. Und der, ebenso paradox, umso schmerzlicher empfunden wird, je aufgeklärter, durchrationalisierter, moderner eine Gesellschaft ist.

"Das Böse erhebt sein Haupt“

Dieser Schmerz, ja Schock wird insbesondere angesichts monströser Verbrechen wie jenem von Oslo/Utøya empfunden. Die Reaktion darauf ist eine doppelte. Zum einen nimmt der oben genannte Antrieb geradezu verzweifelte Züge an: Das Unerklärliche will doch irgendwie begriffen, das Monströse also gewissermaßen rational domestiziert werden. Zum anderen aber greifen wir hilflos auf archaische Kategorien und Denkstrukturen zurück: was sich in Sätzen wie "Das Böse erhebt sein Haupt“ manifestiert. Beide Verhaltensmuster, wenn auch scheinbar widersprüchlich, ergänzen einander, beiden kommt auch eine ganz wesentliche entlastende Funktion zu.

Bei milder Betrachtungsweise kann man vielleicht auch den im Gefolge der Ereignisse von Norwegen entstandenen politischen Diskurs in Österreich als Entlastungsstrategie durchgehen lassen. Der besteht ja hauptsächlich im vor allem vom ORF betriebenen Versuch, mehr oder weniger subtil einen Konnex zwischen der FPÖ und der Wahnsinnstat des Anders B. Breivik herzustellen. Was immerhin dem Vizechef der Partei Norbert Hofer die seltene Gelegenheit zu einem ZIB2-Auftritt bescherte, bei dem er treuherzig beteuern durfte, dass die FPÖ nichts mit den Anschlägen von Norwegen zu tun hat. Die simple Dramaturgie der Sendungsverantwortlichen fand ihre kongeniale Entsprechung in der simplen Performance des Hauptdarstellers.

Aber auch intellektuell anspruchsvollere Geister als Norbert Hofer sehen sich nun zumindest implizit mit dem Vorwurf einer Art geistigen Mittäterschaft für das Massaker von Norwegen konfrontiert. So wird etwa auch der deutsche Publizist Henryk M. Broder in Breiviks 1500-Seiten-Pamphlet zitiert: mit einer islamkritischen Aussage in einem holländischen Zeitungsinterview, das wiederum ein rechter norwegischer Blogger aufgegriffen hatte, auf den sich nun Breivik bezieht. "Und schon bin ich für die Anschläge mitverantwortlich“, bemerkt Broder dazu lakonisch in seiner Kleine-Zeitung-Kolumne.

Gewiss, es gibt Verhetzung, Panik- und Angstmache, die das Klima einer Gesellschaft vergiften und den Boden für gefährliche Entwicklungen bereiten können. Aber man sollte mit solch einschlägigen Zuschreibungen vorsichtig sein. Erstens weil Wahnsinnstaten einzelner - siehe oben - sich nie einfach kausal aus einem wie immer geprägten "Klima“ heraus erklären lassen. Zweitens und vor allem aber, weil wir diskursmäßig in Teufels Küche kommen, wenn wir politische Meinungsäußerungen ins Extreme extrapolieren, um sie dann moralisch zu diskreditieren.

Querverbindungen

Über Querverbindungen inhaltlicher wie personeller Art kommt man immer relativ schnell von der politischen Mitte oder jedenfalls dem demokratisch zweifelsfrei verträglichen Spektrum an den rechten oder linken Rand. Vieles von dem, was jetzt aus Breiviks "Manifest“ zitiert wurde, kann man der Substanz nach auch in unverdächtigen Medien und Foren lesen; die Themen, die seinen irren Geist offenbar umgetrieben haben, treiben auch wache Zeitgenossen um und sind jene öffentlicher Debatten. Das sich einzugestehen, bringt freilich keine Entlastung; es macht, im Gegenteil, die Tat nur noch beklemmender.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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