6647471-1958_32_18.jpg
Digital In Arbeit

Der Tischler und die großen Märkte

Werbung
Werbung
Werbung

Wer wollte es leugnen: Das Handwerk steht in unserem technisierten Jahrhundert in einem entscheidenden Existenzkampf. Doch wäre es reichlich verfrüht und unrealistisch, sein Ende vorauszusagen. Seine Form hat sich verändert und wird weiterem Wandel unterworfen sein. Zeitlos.aber ist an ihm, daß es als „Werk der Hände“ das menschliche Bedürfnis befriedigt, selbst tätig, selbst formend mit dem Material beschäftigt zu sein, ein Bedürfnis, das die Maschine weder zu stillen noch ganz zu unterdrücken imstande ist.

Natürlich bedient sich der Handwerker der Maschinen, aber er geht nicht in ihnen auf, tritt nicht hinter ihnen zurück, er verwendet sie aus freien Stücken und könnte sie, sofern er sein Metier versteht, notfalls ebensogut entbehren. Die Maschine im Tischlergewerbe — von dem vor allem ist hier die Rede — bleibt immer an die führende, an die „denkende Hand“ gebunden. Sie setzt zu ihrem Funktionieren das Können, die Formen- und Materialkenntnis des Meisters voraus.

Somit ist die Ausbildung der Lehrlinge heutzutage nicht etwa primitiver, eher umfassender geworden. Die Innung hat einen gutdurchdachten Apparat aufgeboten (ein halbes Hundert Lehrlingswarte), um den Nachwuchs zu beraten und zur Steigerung seiner Fähigkeiten anzuspornen. '

Wie aber steht es mit den Betrieben selbst und mit ihrer Konkurrenzfähigkeit auf den großen Märkten? Die tiefgreifenden Umwälzungen erfordern eine neue Betriebstechnik. Die Methoden für Ein- und Verkauf, Lagerhaltung, sachgemäße und rationelle Erzeugung, für Kalkulation und Buchhaltung müssen ständig mit den Forderungen der Weltmärkte übereingestimmt, das heißt permanent revidiert werden.

Dafür steht dem Großbetrieb ein Stab von Spezialisten zur Verfügung. Der Meister aber kann allein wohl schwerlich in allen Detailfragen Bescheid wissen.

Hier liegt die Aufgabe der Innungen. Sie sichern dem „Kleinen Betrieb“ im Rahmen der Kammer die Vertretung gegenüber den Gesetzgebern, der Justiz und der Staatsverwaltung. Sie helfen in Steuerfragen und entschärfen die ärgsten Tücken des „Papierkrieges“. Eine Beratungsstelle vermittelt neue technische Erfahrungen. Und Werbegemeinschaften sorgen dafür, daß das Angebot der „Kleinen“ nicht von der Reklame der industriellen Monsterbetriebe überschrien wird. Wirtschaftsorganisationen ermöglichen die Teilnahme an großen Märkten, die sonst für den selbständigen Meister unerreichbar oder gar nicht rentabel wären.

Wertvoll erwiesen sich ferner die Kontakte mit der Wissenschaft: Mit den gewerbewissenschaftlichen Instituten an der Hochschule für Welthandel, dem Holzforschungsinstitut und mit dem in Gründung stehenden Institut für Handwerkstechnik an der Technischen Hochschule in Wien.

Die Ergebnisse dieser verzweigten Innungsarbeit sind weder fiktiv noch utopisch, sondern bereits an Tatsachen nachzuweisen. So berichtete das Institut für Wirtschaftsforschung in der Deutschen Bundesrepublik (Heft 6, Jahrgang 1956), daß der Anteil des Handwerks am Gesamtumsatz der holzverarbeitenden Industrie in den Jahren 1950 bis 1954 von 45 Prozent auf 49 Prozent gestiegen ist. In anderen Ländern, die schwächer industrialisiert sind, schneidet das Handwerk selbstverständlich noch günstiger ab. Man sieht also, daß die Massenerzeugung keinen totalen Sieg errungen hat. Sie löste ihrerseits bei vielen Konsumenten wieder den Wunsch nach individueller Innenarchitektur aus. Um nicht völlig an Niveau zu verlieren, kommt sie um die Zusammenarbeit mit den abschätzig behandelten und befehdeten „Kleinen Betrieben“ nicht herum.

Ein Beispiel aus den USA: General Electric, eines der Riesenunternehmen des Jahrhunderts, hatte vor der Automatisierung etwa tausend Zulieferer; jetzt, nach durchgeführter Automation, ir* diese Zahl auf 36.000 angewachsen.

Kein Grund demnach zu irgendeiner Katastrophenstimmung. Niemand vermag freilich in die Zukunft zu sehen und Gedeih und Verderb des Handwerks unverbrüchlich vorauszusagen. Die Zwischenbilanz aber lautet: Der Meister, der die Zeichen der Zeit erkennt und nützt, wird heute wie ehedem konkurrenzfähig sein und braucht Um seine Arbeit und um seinen Wohlstand nicht zu bangen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung