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Familie: Bindeglied und Brücke

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Das individualistische Denken des 19. Jahrhunderts wurde von der kollektivistischen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts abgelöst, das Menschen- und Gesellschaftsbild so hintereinander von zwei entgegengesetzten und extremen Ideologien verzerrt. Im einen Fall durch Leugnung beziehungsweise Bagatellisie-rung der Sozialnatur des Menschen und der sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Konsequenzen; im anderen durch maßlose Übertreibung des Aspektes der notwendigen Vergesellschaftung des Menschen unter weitgehender bis totaler Beraubung seiner Freiheit und Würde. Leidtragend sind dabei der personale Mensch, die durch ihn aufgebaute Gesellschaft und die Faimilie als Bindeglied zwischen beiden, als Brücke zwischen Mensch und Welt.

Die Überwindung der Irrtümer gleichzeitig des Individualismus und des Kollektivismus, die Aufhebung des kämpferischen Gegensatzes zwischen diesen beiden doktrinären Verzerrungen des Bildes vom Menschen und seiner Gemeinschaiftsordnung ist nur durch die Familie möglich. Sie versöhnt diesen prinzipiellen Streit, sie bildet die gelebte Synthese, in der sich Individualität und Gemeinschaftlichkeit des Menschen als Folge seiner angestammten Doppelnatur harmonisch treffen. Nur durch Ver-kennung von Wesen und Aufgabe der Familie konnte es zu den beiden Irrtümern und Fehlhaltungen kommen.

Die Familie ist das Urbild aller menschlichen Gemeinschaft. Mit ihren Sozialbeziehungen stellt sie den grundlegenden Modellfall für die größeren Sozietäten dar, in die das Kind, der Jugendliche langsam hineinwachsen soll: in die Spielgruppe, die Verwandtschaft, die Klassengemeinschaft, die Nachbarschaft, in die Pfarre, dj^,ber,uf!ich£(.Umwglt. Gemeinde, das Bundesland und schließlich in die Gemeinschaft von Kirche und Staat. Richtige Erziehung zur Familiengemeinschaft bedeutet gleichzeitig erste und beste Erziehung für die Rolle des Menschern in allen größeren Gemeinschaften bis auf die staatsbürgerliche Ebene.

Alles, was die Schule, die Jugendgruppe und die übrigen Gemeinschaften, ja sogar die Selbsterziehung an späteren Fortschritten des Sozialverhaltens erwirken, ist nur eine Entwicklung der elementaren menschlichen Erfahrung, welche der Jugendliche in der familiären Erlebnisgemeinschaft mit Vater. Mutter und Geschwistern erworben bat. Überordnung und Unterordnung lernt der junge Mensch nirgends besser und selbstverständlicher kennen als im Verhältnis zu den Eltern. Eine richtige elterliche, vor allem väterliche Autorität, die nicht beherrscht ist von der Vorstellung eines institutionellen Charakters, sondern von der Liebe her als Dienst an der Gemeinschaft verstanden wird, ist auch in der Familie von heute unerläßlich, wenn sie der Jugend die notwendigen ordnungs-pölitischen Grunderlebnisse vermitteln soll.

Auch alle übrigen entscheidenden Faktoren im aktiven und passiven Sozialverhalten finden in der Familie ihre prägende Grundlage: Verträglichkeit, Anpassung und gegenseitige Rücksichtnahme; das Erlebnis der gleichwertigen Nebenordnung der Geschwister; die Verantwortlichkeit in der Erziehungs- und Pflegehilfe gegenüber jüngeren und schwächeren Geschwistern (Ritterlichkeit); vor allem aber die Liebe, das Lieben und Geliebtwerden um seiner selbst willen als tragendes Element der Menschlichkeit, als Lebensprinzip des Ebenbildes Gottes, das—die Liebe als Lebensprinzip — für die Ausrei-fung der menschlichen Person (bis zur Vollendung im Tode) ebenso entscheidend ist wie für die Grundlegung christlicher Religiosität mit ihrem Hauptgebot der Liebe. Am Beispiel der „schwierigen-' Kinder aus gestörten Familienverhältnissen wird an den bekannten Symptomen von der Kontaktarmut bis zu den kriminell-aggressiven Erscheinungen die Bedeutung gesunder Familienverhältnisse für die Erziehung der Jugend zu wertvollen, harmonischen Gliedern der Gesellschaft, des Staates offenbar.

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