'Das Haus des Nachbarn ist wichtiger als das eigene.' Wer aber weiß das schon? Und wo sind Politiker, die um Lösungen ringen - und mehr tun als Angst verbreiten?
Es war am Wahlsonntag vor zehn Tagen. Zufällig bin ich in den Privatsender Oe24. TV geraten -und in seine Peinlichkeiten. Hier nur drei Beispiele: "Jetzt wird es spannend - H.-C. Strache steigt ins Auto". Und: "Steiermark, das ist die Schlacht des Tages". Und: "Barbara Rosenkranz ist in Niederösterreich eine Ikone".
Einmal mehr ist mir dabei die Verrücktheit dieses Wahlfinales bewusst geworden. Und die Dringlichkeit, über unseren Schrebergarten hinweg wieder mehr vom Zustand der Welt in den Blick zu bekommen. Denn die globale Entwicklung treibt uns vor sich her, mit unvermeidbaren Auswirkungen auch auf Europa und Österreich. Nichts davon hat sich in unseren Vorwahl-Debatten wiedergefunden -das Angst-Thema "Islam" ausgenommen. Aber selbst da hat niemand ernsthaft versucht, den Wurzeln und Perspektiven von Flucht und Massenmigration nachzuspüren und neue Modelle anzudenken, die über unseren Tellerrand hinausreichen.
Dramen vor unserer Haustüre
Ich behaupte: Die politischen Umbrüche unmittelbar vor unserer Haustüre sind heute so turbulent und vielgestaltig wie nie zuvor -und sie sind unmittelbar mit Europas Sicherheit verbunden.
Um nur einige Dramen zu nennen: Im Kernland I, Ägypten, haben die Militärs rund 60.000 Islamisten (Moslembrüder) hinter Gitter gesetzt -eine Brutstätte künftiger Konflikte. Anders die Lage im Kernland II, der Türkei, wo Erdogans konservativ-islamisches Regime ca. 200.000 Gegner gefangen hält. Beide Staaten verweigern sich einer Lösung ihrer inneren Konflikte -und sperren lieber ein. Unausweichlich werden die Gegensätze dort wieder aufbrechen - mit schlimmen Folgen.
In Syrien und im Irak spült die Niederwerfung des IS die darunterliegenden Konflikte erneut an die Oberfläche: Schiiten gegen Sunniten, Araber gegen Kurden Erstmals stehen auch Soldaten Amerikas und Russlands auf syrischem Boden in brisanter Nähe. Und Terrorgruppen à la IS werden, einmal aus Nahost vertrieben, noch mehr als bisher auf fernen Schauplätzen auftauchen.
Libyen ist heute ein "gescheiterter Staat". Wer als Europäer guten Gewissens meint, dort Afrikas Massen-Exodus stoppen zu können, will nichts vom Grauen libyscher Auffanglager wissen.
Der Öl-Gigant Saudi-Arabien steht akut im Mehrfrontenkonflikt mit Jemen, dem Iran und Katar.
Libanon und Jordanien stöhnen unter existenziellen Flüchtlingslasten.
Gar nicht zu reden vom Machtfaktor Israel, vom palästinensischen Drama usw. usw.
Und das alles unmittelbar vor Europas Haustüre. Wer glaubt, sie einfach zusperren zu können, täuscht sich und seine Mitbürger. Nichts ist gelöst.
Ein arabisches Sprichwort sagt: "Das Haus des Nachbarn ist wichtiger als das eigene." Wer aber weiß das schon? Und wo sind Politiker, die mutig hinschauen, die um Lösungen ringen -und die mehr tun als Angst verbreiten?
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