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Befreiung aus mechanistischer Rechtsordnung

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Als im Zeitalter der modernen Technik unter der Hand des Menschen eine neue konstruktive Welt von bisher nicht dagewesenen Ausmaßen entstanden war, wuchs auch das Selbstbewußtsein des Menschen zu gigantischer Größe empor. Durch die unendliche Erweiterung seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse geblendet, kam nämlich der Mensch allmählich so weit, daß er glaubte, er könne kraft seiner Intelligenz auch Herr seines Schicksals sein und alles nach seinem Willen meistern. Schließlich meinte er sogar, selbst Gott entbehren zu können, und zimmerte sich nach Regel und Richtscheit eine eigene Welt, in der für Gott kein Platz mehr vorgesehen war. An Stelle der natürlichen Schöpfungsordnung, in der alle Werte ihren festen Rang besaßen und alle Teile sinnvoll zusammenwirkten, trat nun ein künstliches Gebilde, in welchem es bloß relative Werte von unbeständiger Dauer gab und alle Teile in fortwährendem Kampfe gegeneinander lagen.

Mit der Loslösung des Menschen aus der schützenden Gemeinschaft der göttlichen Schöpfung wurde aber auch das Schicksal des einzelnen immer unsicherer, da mit dem Fehlen der Verantwortung vor Gott auch jeder ethische Zusammenhalt zwischen den Menschen dahinschwand. Denn es gibt keine Ethik ohne Gott, und es ist daher ein vergebliches

Bemühen, wenn moderne Gewaltherrscher die fehlende Moral durch ein strenges Polizeiregiment ersetzen,weil auf diese Weise bestenfalls eine künstliche Apparatur notdürftig in Gang gehalten, niemals aber eine wahre Ordnung geschaffen werden kann.

Es ist nun einmal so, daß der Mensch sein Leben auf metaphysischem Grunde bauen muß, wenn er eine feste Basis seiner Existenz besitzen will. Solange er dem übersinnlichen zugewandt ist und in lebendiger Verbindung mit Gottes Schöpfung steht, bleibt er selbst Herr der Dinge, während er in einem glaubensfeindlichen Dasein zu einem willen- und seelenlosen Bestandteil der großen Weltmaschinerie herabsinkt, da der wachsende Automatismus den Menschen allmählich der Aufgabe enthebt, sein Glück selbst zu schmieden. Nun schwingt er nicht mehr den wuchtigen Hammer, um mit kräftiger Hand das Eisen zu schlagen; nein, er selbst ist zum bearbeiteten Gegenstand, zum „Menschenmaterial“ geworden, das den vernichtenden Schlägen des kollektiven Ungeheuers wehrlos ausgeliefert ist. So folgt auf die Entgött-lichung des Lebens die Entpersönlichung des Menschen, dessen Persönlichkeit in Mechanisierung, Normalisierung und Rationalisierung untergeht. Die Schablone, die Masse triumphiert, der einzelne aber, der durch die Dreschmaschine des Lebens getrieben wird, ist nichts anderes als Spreu vorm Winde.

In einer derart entseelten Welt wird auch das Recht mechanisiert, indem es auf das Wesen einer bloßen Betriebsordnung herabgedrückt wird,wobei ihm nur noch die Aufgabe verbleibt, regulierend in die Staatsmaschine-rie einzugreifen, um jedwede Störung des Apparats nach Möglichkeit zu verhindern. Das Recht beschränkt sich somit im wesentlichen darauf, im Getriebe des Lebens jene Rolle zu spielen, welche im Großstadttrubel eine wohldurchdachte Straßenverkehrsordnung zu erfüllen hat. Das ist natürlich nur mehr ein trauriges Zerrbild einer echten Rechtsordnung, eine bloße Form, die inhaltslos geworden ist, seitdem man Recht und Sittlichkeit voneinander getrennt hat. Denn das wahre Recht kann immer nur in der Sittlichkeit gegründet sein;

löst man das Recht aber aus seiner metaphysischen Bindung und von dem ethischen Fundament, so macht man es zwar wertfrei, damit aber zugleich auch wertlos.

Seitdem man das Naturrecht verdammt und die merkwürdige Entdeckung gemacht hatte, daß das Recht nicht mehr unbedingt aus der Gerechtigkeit fließen müsse, sondern Recht und Gesetz identifizierte und alles „Recht“ war, was die verfassungsmäßig zuständigen Organe als solches schufen, konnte jeder beliebige Inhalt des Gesetzes zu Recht werden. So wurde das Recht zum gefügigen Werkzeug in der Hand der jeweiligen Clique, die sich gerade der Staatsgewalt bemächtigt hatte. Freilich stand jetzt nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt des Rechts wie in den Zeiten des Naturrechts, sondern auch hier triumphierte der Apparat, die Gesetzestechnik, die Rechtsmaschinerie, die mit ihrem komplizierten Räderwerk den einzelnen erbarmungslos zermalmten.

Durch diese Entwicklung wurde das wahre Wesen des Rechts vollkommen auf den Kopf gestellt. Ist doch Recht letzten Endes die Anerkennung des Du im anderen durch den einzelnen Menschen. Indem der Mensch im Recht die Rechtspersönlichkeit des anderen anerkennt, findet er sein Ich im Du des anderen und verwirklicht und erlebt so sein eigenes Dasein. Im Mittelpunkt des wahren Rechts steht darum der einzelne Mensch, die sittliche Persönlichkeit des Ich und des Du, nicht der Staat oder das Volk oder die Klasse, welche die Existenz des einzelnen aufsaugen und ver-' nichten.

Daß der Menschheit das Gefühl für das wahre Wesen des Rechts so völlig abhanden kommen konnte, ist eine Folge der Krise des Wertdenkens unserer Zeit. Das Recht wertet menschliches Verhalten und orientiert sich dabei an dem höchsten Wert des Lebens, von dem es Inhalt und Sinn empfängt. Ist dieser Höchstwert in Frage gestellt, so ist mit ihm auch das Recht fraglich geworden. Sobald einmal der höchste Wert des Menschen nicht mehr in der Entfaltung seiner sittlichen Persönlichkeit, sondern im wirtschaftlichen Interesse einer Klasse oder im

Nutzen des Volkes, demnach in politischen Zielen gesucht wird, verliert das Recht seinen Eigenwert. Es hört auf, absoluter Maßstab zu sein, an dem sich Wert oder Unwert einer politischen Macht erst bemißt, und wird zum gefügigen Werkzeug jeder Gewalt, die gerade an der Macht ist. Es ist die große Aufgabe der Juristen unserer Zeit,aus einem Rechtsdenken, dem das Politische Höchstwert ist, heraus und zurück zu absoluten Maßstäben zu finden und die verlorene Bindung des Rechts an das Sittliche wieder zu knüpfen. Es geht darum, wieder ein Recht aufzubauen, in dessen Mittelpunkt der einzelne Mensrh steht, der Mensch, der .von Natur aus“ einen unverlierbaren Anspruch auf bestimmte Güter besitzt und als sittliche Persönlichkeit in allem, was er zur Entfaltung dieser Persönlichkeit bedarf, vom Recht geschützt wird. Es ist eine Ordnung, die dem Menschen aus seinem eigenen Wesen heraus als Recht in seinem Gewissen aufscheint, ein Recht, dessen Grundnorm der einzelne in sich trägt und in sich erkennt. Es ist ein Gewissens-recht, in dem nicht nur dem angelernten Wissen Bedeutung zukommt, sondern auch das Gewissen, das ist das im Innern des Menschen wirkende Ich, nach Gellung ringt. Dann wird der Wortlaut des alten Richtereides wieder wahr werden, wonach der Richter nicht nur nach bestem Wissen, sondern auch nach seinem Gewissen sein Urteil zu fällen hat.

Das Gewissen aber ist es, das den Menschen wieder zu sich selbst finden läßt und ihn davor bewahrt, daß er sich gänzlich in den Nichtigkeiten dieser Welt verliere; es treibt ihn dazu an, im Gedränge des Alltags die hohen sittlichen Aufgaben nicht zu vergessen, und wirkt in ihm als Unruhe, die ihn nicht ruhen läßt, bis er ruht in dem Einen. Dann ist des Menschen Dasein wieder mit echter Transzendenz erfüllt, und er steht mit seinem natürlichen Recht wieder auf dem festen Boden der göttlichen Schöpfungsordnung.

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