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Die künstlerische Bedeutung der Magnetophonaufnahme

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Das fundamentale Problem des Rundfunks ist die Schaffung jener technischen Voraussetzungen, die nötig sind, um einen künstlerisch einwandfreien Sendebetrieb zu ermöglichen. Dieses Problem zerfällt in eine Fülle von Einzelfrager., deren grundsätzlich befriedigende Lösung den technischen Experten für das Gebiet der „Original”- oder „direkten Sendung” schon vor geraumer Zeit gelungen ist. Die unmittelbare, also „direkt” aus dem Senderaum erfolgende Ausstrahlung der jeweiligen Produktion eines Künstlers oder Vortragenden über den Sender hat somit eine künstlerische Qualität erreicht, die im Rahmen der Gegebenheiten als schlechterdings vollendet angesehen werden kann.

Ganz anders aber liegen die Dinge bei der indirekten Sendung, der „Wiedergabe einer Aufnahme”. Mit diesem Sendetypus betreten wir jenes Gebiet, das der Laie gerne geringschätzend als „Konservenmusik” zu bezeichnen pflegt. So berechtigt diese wenig schmeichelhafte Namensgebung sein mag, so kann der tägliche Rundfunkbetrieb dieses Hilfsmittel nicht entbehren. Allein die Tatsache, daß Darbietungen, deren Sendung an sich durchaus wünschenswert ist, zu einem Zeitpunkt stättfinden, der die Möglichkeit einer direkten Sendung ausschließt, zwingt zu seiner Inanspruchnahme.

Für den Rundfunktechniker bedeutet diese zwangsläufig entstandene Sendeform das Hinzukommen einer neuen Fehlerquelle, eines neuen Gliedes in die ohnedies ziemlich beträchtliche mechanische Kette, die den Künstler vor dem Mikrophon mit dem Hörer vor dem Lautsprecher verbindet. Der Reduktion. ja weitmöglichsten Ausschaltung dieser Fehlerquelle durch Entwicklung geeigneter Aufnahmeverfahren dient die Arbeit ungezählter Rundfunklaboratorien. Wenn wir von mehr oder minder bedeutungslosen Zwischenlösungen absehen, so hat die Arbeit dieser Laboratorien zunächst zwei auch heute noch allgemein in Verwendung stehende elektroakustische Aufnahmeverfahren erbracht, die untereinander in einer quan- tativen Rangabstufung stehen.

Die untere Stufe nimmt der geringen Wiedergabegüte wegen die Schallfolie ein. In die Lackschicht dieser leicht flexiblen, mit der Sdiallplatte vergleichbaren Platte wird auf elektroakustischem Weg das durch das Mikrophon zugeleitete Tonereignis in spiralförmigen Rillen aufgezeichnet. Trotz der dergestalt erzielten relativ geringen Qaulität bewährt sich dieses Verfahren im Rundfunk vor allem dann, wenn es gilt, Dinge aufzunehmen, bei denen es weniger auf künstlerisches Niveau, als vielmehr auf schnelle Sendefertigkeit und rasche Aufnahmebereitschaft ankommt.

Von größerer Bedeutung ist die zweite Tonträgerart: die Wachsplatte. Dieses weitaus subtilere Verfahren entspricht noch heute grundsätzlich dem bei der Schallplattenindustrie benützten. Der unmittelbare Aufnahmevorgang ist im wesentlichen derselbe wie bei der Schallfolie, das Ergebnis weit befriedigender. Gleichwohl ergeben sich auch hier im Vergleiche mit der „Originalsendung” sehr beachtliche Nachteile.

Die technischen Grenzen erfordern hier oft beträchtliche dynamische Retuschen, die mitunter in direktem Gegensatz zu den Intentionen des Komponisten stehen können. So würde beispielsweise die Symphonik Gustav Mahlers mit ihrer exzessiven Dynamik auf Wachsplatten kaum in der originären, den ekstatischen Intentionen des Komponisten entsprechenden Struktur zum Klingen gebracht werden können. Ein weiterer, ebenfalls sehr unangenehmer Nachteil ist das Störgeräusch, das von den Schallplatten her allgemein bekannte Rauschen, zu dem sich noch die sehr begrenzte Dauerhaftigkeit der Platte hinzugeseUt.

Es ist klar, daß diese Möglichkeiten der Schallaufzeichnung und Schallwiedergabe eines akustischen Ereignisses dort nicht mehr befriedigen können, wo dieses akustische Ereignis Musik ist. Es ist daher naheliegend, wenn sich die Rundfunktechnik auch weiterhin eingehend mit der Verbesserung der Aufnahmegeräte befaßte. Die Forderung nach dieser Verbesserung war um so stürmischer, je bedeutender der Fortschritt auf dem Gebiete des Mikrophonbaues war. Die anfängliche Beschränkung auf Mikrophone, die auf den senkrechten Schalleinfall abgestimmt waren und stark gedämpfte Aufnahmeräume als Voraussetzung hatten, war von dem Augenblick an überholt, da man daranging, den Raumton mit einzubeziehen. Dieser Wendepunkt wird jedermann ohne weiteres bei der Gegenüberstellung von älteren und neueren Schallplatten klar: dort die vollkommene Ausschaltung jeglichen Nachhalls, ein Stumpfes, glanzloses Orchester- kölorit, eine durchaus flächige Tonphysiognomie, dagegen hier ein volltönendes, in der Instrumentation weitgehend differenziertes Klangbild, große Natürlichkeit der Klangfarben und eine ausgesprochen räumliche Tongestait. Die Einbeziehung raumakusti- sdier Probleme zog zwangsläufig die Konstruktion eines Mikrophons nach sich, dessen Frequenzkurve von allen Schalleinfallsrichtungen bestimmt wird.

Nun aber galt es, diese optimale Qualität ‘auch auf das Gebiet der Aufnahme und deren Wiedergabe auszudehnen. Dieser entscheidende Schritt gelang durch die epochale Erfindung desHochfrequenzmagneto- phons. Es unterscheidet sich von den bisher besprochenen, plattenförmigen Tonträgern schon rein äußerlich durch die bandförmige Gestalt. Dieses bandförmige Aufnahmeverfahren ist an sich nicht neu, sondern weist eine beträchtliche Anzahl von Entwicklungsstadien auf. Sie alle kamen jedoch verschiedener Mängel wegen über den Raum der Laboratorien kaum hinaus oder entsprachen, wie zum Beispiel das lichtelektrische Verfahren des Tonfilms, nicht den Erfordernissen des Rundfunks. Schließlich wurde durch einen besonderen Prozeß das Magnetophon mit einem Schlage qualitätsmäßig derartig verbessert, daß di Wiedergabegüte nunmehr alle bekannten Methoden bei weitem übertrifft Das hier verwendete Band, das aus einer feinsten Verbindung von Zellophan und Eisenmagnetit besteht, läuft an einem Elektromagneten vorbei und wird dort im Rhythmus der vom Mikadįdron aus zugeleiteten Modulation magnetisiert. Wenn nun das die Aufnahme tragende Band an einer zweiten Spule, dem Wiedergabekopf, vorbeigeführt wird, so wird in dieser eine dem Schall proportionale Wechselspannunrg induziert, die dann nach Verstärkung dem Lautsprecher zugeführt wird. Die Lösung der Hauptprobleme: die Konstruktion und Ausführung des Elektromagneten, die vollkommene Ausschaltung jeglichen Störgeräusches und die bedeutsame Erweiterung des aufnehmbaren Tonbereiches hat di auftretenden Verzerrungen so verringert, daß sie mit den augenblicklich zur Verfügung stehenden Empfangsgeräten überhaupt nicht wahrgenommen werden können. Infolgedessen ist ein Unterschied zwischen einer Originalsendung und einer vom Magnetophonband abgespielten Darbietung praktisch nicht feststellbar. Diese Tatsache ist für den Rundfunk von unabsehbarer technischer und künstlerischer Bedeutung. Die Erfahrung von etwa 1500 Magnetophonaufnahmen, unter denen sich fast die gesamte symphonische Literatur der Klassik und Romantik, eine Anzahl kompletter Opern und Oratorien und eine Unzahl von Kompositionen der verschiedensten Besetzung befindet, hat gelehrt, daß mit Hilfe dieses Verfahrens die sooft erträumte Zusammenfassung der Vorteile der direkten wie der indirekten Sendung möglich ist und die vollkommene Verwirklichung der jeweiligen Intentionen der Komponisten erreicht werden kann. Die damit dem Tonmeister an die Hand gegebenen Chancen eröffnen dem Sendebetrieb neue Aspekte, zudem die unbeschränkte Möglichkeit des Schnittes, ähnlich dem Cuttern des Tonfilms, das Ausbessem von Fehlern ohne langwierige Wiederholungen der ganzen Aufnahme auf denkbar einfachste Art durch Einkleben gestattet.

Es liegt nun die Frage nahe, wieweit das Magnetophon, dem noch eine Reihe von betriebstechnischen Vorteilen anhaftet, geeignet ist, die Schallplatte zu verdrängen. Hier kommt ein im Rundfunk vollkommen belangloser Nachteil der Bandaufnahme zu entscheidender Bedeutung. Während man nach Durdiführung eines galvanoplastischen Prozesses von der Plattenmatrize auf denkbar einfachste und schnellste Art eine beliebige Anzahl von durchaus gleichwertigen Kopien auspressen kann, stößt die unbeschränkte Vervielfältigung einer Magnetophonaufnahme auf bisher nicht gelöste Schwierigkeiten. Die Herstellung einer Kopieist wohl möglich. Da jedoch jede einzelne Kopie einen der kompletten Aufnahme analogen Vorgang verlangt, ist die serienmäßige Erzeugung unrentabel und daher vorläufig ausgeschlossen. Gleichwohl zeigen gelegentliche Veröffentlichungen des „Journal of the Acoustical Society of America”, daß man sich in Amerika mit dem Problem der Weiterentwicklung, des Magnetophons zu befassen beginnt, so daß auch auf diesem Gebiet Neuerungen durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Unabhängig von dieser konkurrenzierenden Rivalität hat der Rundfunk im Magnetophonband ein technisches Hilfsmittel entwickelt, das dank seiner elektroakustischen Eigenschaften geeignet ist, die künstlerische Sendequalität entscheidend zu verbessern.

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