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Hinter den Kulissen des Dritten Reiches

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Deutsche Schicksalsjahre, Historische Bilder aus dem zweiten Weltkrieg und seiner Vorgeschichte. Von Kurt A ß m a n n. Erschienen bei Eberhard Brockhaus, Wiesbaden 1950

Unter dem vorstehenden Titel hat Admiral Kurt Aßmann, der ehemalige Chef des deutschen Maiinearchivs, eine Reihe historischer Studien — zuerst in englischer und nun auch in deutscher Sprache — veröffentlicht, die in der umfangreichen Literatur über den zweiten Weltkrieg einen neuen, begrüßenswerten Typus darstellen. Dieser ist gekennzeichnet einerseits dadurch, daß dem Verfasser authentisches Quellenmaterial in so großem Umfang zur Verfügung stand, Wie kaum einem anderen, war er doch durch mehrere Jahre in London im Auftrag der britischen Admiralität mit der Sichtung und Durcharbeitung der Kriegsakten der deutschen Seektiegsleitung beschäftigt, und standen ihm während dieser Zeit auch große Teile — wenn auch nicht die Gesamtheit — des Aktenmaterials der Gegenseite zur Verfügung. Andererseits 6ind 6eine Studien unbeeinflußt von propagandistischen oder apologetischen Nebenzielen, sie stellen weder Anklage- noch Verteidigungsschriften dar — der Verfasser sagt diesbezüglich, er habe niemals „Hosiannah“ gerufen und brauche daher auch jetzt nicht „crueifige“ zu schreien —; endlich hat der Autor kraft seiner dienstlichen Stellung und persönlichen Beziehungen zwar schon während des Ablaufes der Ereignisse tiefen und fortlaufenden Einblick gehabt, ohne jedoch jemals zu eigener entscheidender Mitwirkung berufen gewesen zu sein, so daß für ihn kein Anlaß vorliegt, die historische Darstellung mit der Begründung und Rechtfertigung eigenen Tuns und Lassens zu verquicken. Wenn man dazu noch in Betracht zieht, daß der Verfasser offenkundig ein nicht bloß auf seinem Fachgebiet, sondern ganz allgemein hochgebildeter, in jeder Hinsicht aufgeschlossener Geist ist, so erscheinen alle Voraussetzungen gegeben, die seiner Arbeit den Charakter echter Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung verleihen können.

Die Darstellung Aßmanns umfaßt 15 Kapitel, die teilweise bereits als Sonderstudien in amerikanischen Fachrevuen („US Naval Institute Proceedings“ und „Foreign Affairs Quar-terly“) erschienen sind. Dem Untertitel des Werkes entsprechend, ist es nicht ein Gesamtbild der schicksalsschweren Jahre von 1933 bis 1945, sondern eine Reihe von historischen Bildern, die jeweils einen der Marksteine der Entwicklung als Mittelpunkt haben; dazwischen liegen zeitlich und örtlich Gebiete, die der Verfasser nicht näher behandelt, während einige der Kapitel — wie daß über den Norwegenfeldzug, den U-Boot-Krieg und die „Bis-marck'-Episode — sich vorwiegend an ein seepolitisch und seestrategisch interessiertes Publikum wenden, wodurch das Ganze einen rhapsodischen Charakter erhält, der jedoch dem Wert der vorzüglich in sich gesdilossenen und durchdachten Einzeldarstellungen keinen Abbruch tut, sondern nur bedauern läßt, daß der Autor nicht 6eine „Bilder“ zu einem „Gesamtbild“ abgerundet hat.

Daß Aßmann seinem Buch als Motto das Märchen vom „Fischer und seiner Frau Ilsebill' gewissermaßen al6 Motto vorausschickt, zeigt, daß er in der Unersättlichkeit und der Hybris Hitlers das Leitmotiv der deutschen Schicksalslragödie erblickt, und überhebt ihn der Notwendigkeit, dies im Verlauf der Darstellungen immer wieder zu betonen. Nichtsdestoweniger geht aus ihr sehr anschaulich “die Entwicklung Hitlers von einem erreichbare und teilweise auch vertretbare Ziele verfolgenden Politiker zu einem sich selbst vergottenden und 6ich über die physische und moralische Weltordnung erhaben dünkenden Phantasten und Tyrannen hervor. Drei Kapitel sind der politischen Vorgeschichte des Weltkrieges gewidmet. In dem einen wird das dem Verfasser auf Grund der eingangs erwähnten persönlichen Umstände besonders gut erfaßbare eigentümliche „Haß-Liebe-Verhältnis“ Hitlers zu Großbritannien behandelt, das diesen noch bis weit in den Krieg hinein — ja fast noch bis zum bitteren Ende — sich in Illusionen wiegen läßt und aus diesen heraus zu Fehlentscheidungen verleitet. Illusionen allerdings, die nur aus völligem Nlehtver-stehen britischer Mentalität und der Grundgedanken britischer Politik zu erklären sind. Im folgenden Kapitel wird ganz richtig der Handstreich auf Prag als der entscheidende Wendepunkt bezeichnet, an dem Hitlers Politik den Boden vertretbarer Prinzipien — Revision der Friedensverträge und nationale Einigung — verläßt und zugleich sich durch krassen Wortbruch aus dem Krei6e verhandlungsfähiger Partner ausschaltet. Sehr aufschlußreich ist das nächste Kapitel, das den Pakt mit Moskau behandelt, und mit dem siebenten, das dessen Ablösung durch den Krieg mit Rußland schildert, eine Einheit bildet. Sie bestätigen vollauf die sich aus fast allen bisher erschienenen Veröffentlichungen über dieses Thema ergebende Überzeugung, daß der Bruch mit Rußland keineswegs eine Notwendigkeit oder auch nur eine vorsorgliche Maßnahme zur Abwendung künftiger Bedrohung war, sondern eine aus realpolitischen Motiven nicht mehr erklärbare Wahnsinnstat, Als treibendes Motiv sieht der Verfasser, neben dem ideologisch verwurzelten Haß Hitlers gegen das Sowjetsystem, der durch zwei Jahre schmerzlich empfundener Repression nur noch gewachsen war, auch eine halb unbewußte „Flucht ins Kontinentale“, mit der Hitler den Krieg aus dem ihm geistig unzugänglichen und „irgendwie unheimlichen“ Bereich des „überseeischen“ Kampfes mit dem Westen wieder auf das Gebiet des Festlandskrieges hinüberspielen wollte, auf dem er die unüberwindliche Meisterschaft erreicht zu haben wähnte. Dieser Gedanke wird auch in den weiteren Kapiteln 11 („Die deutsche Führung und das Mittelmeer“) sowie im abschließenden Rückblick wiederholt und einleuchtend vertreten, wobei der Verfasser ausführt, welche ungeheuren Erfolgchancen sich der deutschen Kriegführung in Afrika und im Mittelmeer nach Beendigung des Balkanfeldzuges geboten hätten, wenn nicht der Rußlandfeldzug fortan alle Hilfsquellen des Reidies absorbiert und das Mittel-meer zum Nebenkriegsschauplatz degradiert hätte. Der Verfasser geht allerdings keineswegs so weit, zu behaupten, daß bei einer Kräftekonzentration auf das Mittelmeer ein siegreicher Abschluß des Krieges zu erwarten gewesen wäre, vertritt jedoch — anscheinend mit vollem Recht — die These, daß die dort zu erwartenden Erfolge zumindest einen vertraglichen und erträglichen Frieden ermöglicht hätten.

Von den in dem Budie behandelten Einzelaspekten sei noch auf das 6. Kapitel über den „Seelöwen“ (bekanntlich der amtliche Deckname für die Englandinvasion) hingewiesen, von der der Verfasser nicht annimmt, daß sie hätte erfolgreich durchgeführt werden können, ferner auf das 12. Kapitel über die Probleme des U-Boot-Krieges. Aus dem letzteren geht hervor, daß der Verfasser die weitverbreitete, und offenbar auch von Großadmiral Dönitz gehegte Anschauung,

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