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Pflanzstatten der Demokratie

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„Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8, 32). *

Das Wesen der Universität besteht in ihrer Aufgabe: Wahrheit als Ziel durch Wissenschaft als Mittel anzustreben und das als wahr Erkannte zu bekennen. Die Universität ist Freistatt der Wahrheit; der leidenschaftliche Vorsatz zur Wahrheit verbindet Professoren, Dozenten und Studenten zu einer einzigartigen Gemeinschaft. Wissenschaftlichkeit ist die ursprüngliche Leidenschaft des Wissenwollens, die hier Menschen in akademischer Freiheit und kollegialer Gleichheit zur Solidarität im Dienste der Wahrheit verbündet. Im steten Wettstreit der Meinungen entfaltet sich die Wahrheit; das für wahr Gehaltene wird gelehrt und gelernt, kommt ins Gespräch, wird erworben und verworfen, damit Neues den Platz einnimmt, als Wahrheit mitgeteilt und empfangen werden kann.

Erkenntnis und Bekenntnis der Wahrheit haben Freiheit zur Bedingung: Freiheit zu forschen, zu lehren und zu lernen. Wahrheit kann nur in Unabhängigkeit von Herrschaft und Hoheit gefunden und verkündet werden.

Karl Jaspers definiert die Universität als Bezeugung der Freiheit durch Wahrheit; daher könne nur ein Staat, der selber Freiheit und daher Wahrheit will und auf sie sich gründet, auch die Universität wollen. Denn nur ein solcher Staat identifiziert sich grundsätzlich mit dem Geist der Wissenschaft und der Wahrheit, der Idee der Universität.

Freiheit und Wahrheit, diese beiden Ideen stehen gerade im politischen Raum zueinander im Verhältnis der Interdependenz: Ohne Wahrheit keine Freiheit, ohne Freiheit keine Wahrheit.

Daß politische Herrschaft und Wissenschaft immer wieder miteinander in Konflikt geraten, ist eine soziologische Tatsache. Der Wille zur Macht und der Wille zur Wahrheit und Freiheit sind einander bekämpfende Grundleidenschaften des Menschen. Kurt Rossmann hebt hervor, daß es zum Prinzip totalitärer, einem dogmatischen Wissenschaftsaberglauben gehorchender Herrschaftsformen gehört, die Idee der Universität als Stätte freier wissenschaftlicher Geistentfaltung zu negieren. Denn für totalitäre Staaten ist Wissenschaft grundsätzlich nicht frei, sondern steht als Technologie im Dienste der ebenso auf totale Herrschaft wie auf totale Weltauslegung bedachten Ideologie. Der Impuls ist: Wer die meisten und besten wissenschaftlichen Techniker besitzt, dem gehört die Zukunft, und: Die Macht der Technologie garantiert den Sieg der Ideologie. Dort, wo sich totale Herrschaft etabliert, wird Wahrheit pervertiert:

Die Herrschaft, die ihr Wahrheitsmonopol verwirklichen will, muß jede Konkurrenz von Wahrheiten ausschalten. Institutionen der Wahrheitspublikation, wie Hochschulen und Presse bleiben zwar der Form und Norm nach bestehen, aber die Substanz wird liquidiert. Die Universität heißt dann noch immer Universität, aber ihr Lebenselement, die Lehr- und Lernfreiheit, geht unter. Mit dem Untergang dieser Substanz zerfällt aber auch die Institution. Die Universität sinkt zur Fach- und Berufsschule, degeneriert zum institutionalisierten ideologischen Überbau, zur Dressuranstalt für Partei-und Staatseliten.

Sucht, man nach der Staatsform, die am meisten auf Wahrheit durch Freiheit und auf Freiheit durch Wahrheit gegründet ist, so findet man zur Demokratie. Denn sie ist ihrem Wesen nach jene Erzeugungsform der Gemeinschaftsordnung, in der die Wahrheit allen in gleichem Maße aufgegeben ist. Sie ist ein Versuch, Wahrheit im politischen Raum auf der Basis von Gleichheit und Freiheit aller zu suchen. Der Kampf einer Vielfalt von Meinungen um die Wahrheit macht die Demokratie und die Universität zu Stätten, an denen die Wege der Wahrheit in allen möglichen Richtungen von Menschen zu gehen sind, die sich ganz für sie einsetzen.

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