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Die Wahrheit wird euch freimachen", heißt es im Johannes-Evangelium. Das ist ein großartiges Versprechen, und man könnte meinen, daß alle, vor allem die, die sich mit der Weitergabe des Evangeliums zu befassen haben, voll Begeisterung auf diese Verbindung von Wahrheit und Freiheit einlassen. Aber offenbar gibt es Schwierig-keiten mit der Wahrheit, und erst recht mit der Freiheit.

Die Scheu vor Wahrheit und Freiheit ist allerdings begreiflich. Beide sind gefährlich. Wahrheit rückt die Dinge ins rechte Licht, zerstört Vorurteile ebenso wie Illusionen. Sie ist überdies nicht einfach zu haben, ist überhaupt nicht in den Besitz zu bekommen. Es geht einfach nicht, zu behaupten, die Wahrheit sei transzendent und gleichzeitig, sie läge in irgend jemandes Besitz. Wahrheitssuche schließt Kommunikation, Verständigung, aber auch Streit mit ein, also die Akzeptanz von Differenz, auch von heftigem Widerspruch. Feststehendes geistiges Besitztum verliert also rasch an Boden, nimmt man es mit der Wahrheit ernst.

Freiheit ist schon ein Teil der Wahrheit und Voraussetzung der Wahrheitssuche. Erst recht die Wirkung. Und Freiheit ist eben auch gefährlich. Nicht nur, weil sie jedem das Recht und die Möglichkeit gibt, auszusprechen, was er denkt, und zu tun, was er für richtig hält. Sondern auch, weil sie offen ist, jede Enge aufbricht.

Es ist kein Zufall, daß gegenwärtig diese Fragen im Zusammenhang des Menschenbildes so akut werden. Der Mensch ist nicht so festlegbar, wie die traditionelle Moral es gerne möchte. Auch wenn seine tatsächliche Freiheitskompetenz in Wirklichkeit eher bescheiden ist, beansprucht der Mensch Freiheit in hohem Maß, will er ernst genommen werden, so wie er ist und in dem, was er aus sich gemacht hat. Er verlangt Gehör, Beteiligung und Wahrhaftigkeit. Und hat damit recht.

Es ist keine Frage: Der Wahrheits- und Freiheitsauftrag gilt allen Menschen und Strukturen, aber den Kirchen in besonderer Weise. Sie müßten etwas wissen von der Verheißung, daß die Wahrheit befreit, auch und gerade von Selbstrechtfertigungsdruck, und sie müßten in der Lage sein, diese Überzeugung glaubwürdig zu vertreten.

Der Autor ist ev. Oberkirchenrat und Professor für Systematische Theologie in Wien.

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