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Um einen Neubau deutscher Kultur

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Während neue Demontagen von Industrieanlagen in der Bizone Deutschlands bevorstehen, während aus dem Ostraum dieses umstrittenen Volkes nur wenige und widersprechende Nachrichten an die Weltöffentlichkeit dringen, während der Süden

— Bayern — einer immer stärkeren Sonderentwicklung zustrebt und in London die Vorverhandlungen über einen deutschen Friedensvertrag in der Pressung der Weltgegensätze kaum ihre bescheidenen Keime entfalten können, mag es fast vermessen, zumindest aber reichlich kühn erscheinen, Erwägungen über den Neubau Deutschlands anzustellen. Aus dem „Volk ohne Raum“ ist seit langem schon ein Volk ohne Namen

— ohne eindeutig erkennbares Gesicht im geistigen, seelischen und gemeinmenschlichen Bereich geworden. Alle Faktoren der Konstanz und Substanz, statischer Struktur und organisch gewachsenen Lobens haben sich, wenn auch nicht zu irrealen Größen verflüchtigt, so doch zu Kraftfeldern erweitert, über deren positive und negative Pole, Spannungen, Leerräume und Energieknotungen dem Außenstehend den kaum ein Urteil abzugeben erlaubt ist. Um so verdienstvoller muß es angesehen werden, wenn im Bewußtsein voller Verantwortung, mit ebenso großer Selbstbescheidung wie entschieden-kraftvoller Betonung persönlicher Uberzeugung ein Mann wie Hans Peters das Wort ergreift, um in einem größeren Werk Stellung zum Gesamtproblem der deutschen Kultur der Gegenwart und Zukunft zu nehmen („Zwischen gestern und morgen — Betrachtungen zur heutigen Kulturlage“, Berlin, Springer-Verlag). Der gegenwärtige Dekan der juridischen Fakultät der Universität Berlin, zugleich Professor an der neuerrichteten Technischen Universität Berlin, hatte seit 1928 die Studienleitung der Berliner Verwaltungsakademie inne, er war von 1928 bis 1932 Berater des damaligen Kultusministers Becker bei der Ausarbeitung eines Reform Werkes, welches das gesamte Erziehungswesen umfassen sollte, durch den Einspruch des Reichstages aber niemals realisiert werden konnte; zudem war Peters letzter Vorsitzender der Görres-Gesellschaft', der Dachorganisation der katholisdien Wissenschaftler Deutschlands. Diese beiden Tatsachenreihen zu kennen ist wichtig, wenn man Ausgangsstellung und Gesichtspunkte verstehen will, mit denen Peters an das Problem eines Neubaus der deutschen Kultur herangeht: hier spricht ein Jurist, ein Kenner des deutschen Erziehungswesens, ein nüchterner Fachmann der Reichsverwaltung, des Beamtentums, der aber zugleich aufgeschlossen den Eigenbereichen des Geistigen gegenübersteht. Die Verbindung von nüchtern-praktischer, im besten Sinne des Wortes handwerklicher Werksgesinnung und lebendiger Überzeugungstreue macht seine „Betrachtungen“ zu einem wertvollen Zeitdokument.

Nach einer knappen Bilanzziehung der zwölf Jahre Nationalsozialismus stellt Peters die gegenwärtige Situation Deutschlands etwa folgendermaßen dar: nicht nur der deutsche Raum, die deutsche Wirtschaft, der deutsche Staat sind zerstört worden, das Vernichtungswerk des Nihilismus jüngster Vergangenheit hat bis tief ins Mark hinein Leib und Seele des deutschen Volkes versehrt. Eine Überwindung des Nationalsozialismus erscheint deshalb nur von kultureller Seite her möglich — Kultur ist eine wesentliche Grurldlage auch des materiellen Aufbaus, sie ist zudem die unerläßliche Vorbedingung einer Rückkehr Deutschlands in den Schoß der Völker dieser Erde. Entschieden wendet sich Peters gegen jene, weldie erklären, daß Kulturpflege nur in politisch starken und reichen Staaten möglich sei: die letzte große Blütezeit deutscher Kultur um 1800 fällt zusammen mit einer einzigartigen politischen Schwäche des Deutschen Reiches! Die Not, welche heute über Deutschland lastet, muß primär durch eine innere Neubesinnung überwunden werden! (Walter Dirks schrieb im Juniheft 1947 der „Frankfurter Hefte“: „Die Deutschen bilden sich ein, daß sie alle arm geworden seien. In Wahrheit pressen ihnen die Dämonen des Eigentums den Hals zusammen.“)

Allerdings — das deutsche Kulturleben ist, so wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, nicht imstande, in katastrophalen Situationen dem notleidenden Volke einen inneren neuen Aultrieb zu vermitteln. Die wahren Kulturschaffenden sind seit langem vereinsamt, leben auf Inseln der Zersplitterung, »ein Großteil der „Gebildeten“ besteht nur mehr aus Spezialisten, aus Facharbeitern, die keinen lebendigen Kulturkörper mehr bilden. Peters scheut hier vor allem nicht vor einer umfassenden Kritik der deutschen Universitäten zurück: diese haben sich bereits seit langer Zeit zu reinen Fachhochschulen entwickelt, Mängel in der Lehre, Lebensfremdheit der Vortragenden und der akademischen Institutionen an sich, nicht zuletzt eine Uberschätzung des Äußerlich-Organisatorischen ließen sie zu bloßen Fachschulen herabsinken. Hier tut nach Peters „eine energische, deutlich sichtbare Reform“ not, wenn die Hohen Schulen als geistige Bildungsanstalten, als E r-zieher der Nation wiedererstehen ''sollen! (S. 68 ff.) Nach Peters „ist die Mehrzahl der deutschen Hochschullehrer heute zu reinen Fachgelehrten, wenn auch mit bedeutenden fachlichen Leistungen geworden. Nur der kleinre Teil ist von echter

Bildung durchdrungen und besitzt eine innerlich gefestigte Haltung mit festen Wertmaßstäben, wie sie dem abendländischen Kulturideal entsprechen. Nur so erklärt es sich, daß die Universität als Institution kritiklos und angsterfüllt eine so leichte Beute nationalsozialistischen Ungeistes geworden ist und ihren hohen Ruf in der Welt so schnell untergraben hat“. Peters fordert: hier „muß eine deutlich sichtbare Reform durchgeführt werden, in der der charakterlose Nur-Fachgelehrte zurückgedrängt und der Professor, der der Universität das geistige Gesicht geben soll, entsprechend herausgehoben wird“. (S. 70.) Organisatorisch stellt sich Peters diese Reform folgendermaßen vor: die reinen Fachgelehrten bilden eine Gruppe der außerordentlichen Professoren, als ordentliche Professoren werden nur einige wenige — etwa vier für jede Fakultät — ausgewählt und vom Staat ernannt. „Diese müssen universal gebildete, vom abendländischen Kulturideal voll erfüllte Persönlichkeiten »ein mit der Fähigkeit, dieses Kulturideal den Studenten zu vermitteln, aber auch im öffentlichen Leben zu vertreten. Ihre Fachzugehörigkeit ist belanglos. Ihre Aufgabe ist die Begründung des Wiederaufstiegs der Universität;, sie haben ihr das geistige Gesicht zu geben und müssen sich selbst und dann die einzelne Universität zu einer geistigen Einheit verschmelzen.“ Diese „Bildungsprofessor e n“, die eventuell auch mehrere Universitäten zu einer Bildungseinheit zusammenschließen können, sollen die Universität aus einer Staats-Fachlehranstalt zu einer lebendigen Körperschaft umbilden. Da eine Neugestaltung der Hohen Schulen nicht ohne eine Neuerziehung der Studenten gedacht werden kann, sdilägt Peters die Übernahme gewisser Grundsätze des englischen Collegesystems vor. Allen brauchbaren Hochschullehrern (der Begriff „brauchbar“ steht bei Peters, S. 78) sollen 50 bis 70 in ihrer Nähe wohnende Studenten aller Fachrichtungen zugewiesen werden, „je bunter die Zusammensetzung der Studenten nach Hochschulen, Fakultäten, Geschlecht, politischer und weltanschaulicher Herkunft ist — um so besser für den erstrebten Zweck“. Diese sollen eine Art „gebildeter Familie“ bilden, welche zweimal wöchentlich zusammenkommt und in regem geistigem Austausch wissenschaftliche, künstlerische, politische und lebensmäßige Belange besprechen soll. Um den Massenandrang der Studenten an den Hochschulen abzuwehren, tritt Peters für die Einführung einer Hochschulzulassungsprüfung am Ende eines Einführungssemesters ein. Einen besonderen Notstand erblickt Peters in der „Trostlosigkeit der Geisteslage an den technischen Hochschulen“ (S. 81). Hier sieht Peters nur zwei Möglichkeiten: entweder man beläßt diese Anstalten als reine Fachschulen „und verzichtet darauf, den Absolventen dieser Anstalten überhaupt Bildungsgut zu vermitteln und sie zu gebildeten Menschen zw machen“, oder man gliedert sie einer Univ tat an, beziehungsweise baut sie zu te> .nischen Universitäten mit neuen Lehrplänen usw. aus, wie es in Berlin gegenwärtig versucht wird!

In diesem Rahmen kann nur kurz auf die Fülle der von Peters behandelten Teilprobleme eines Neubaus der deutschen Kultur verwiesen werden. Peters untersucht unter anderem die so notwendige fachliche und menschliche Fortbildung der Beamten, die inneren Beziehungen zwischen den Parteien und der Kultur, das deutsche Parteienproblem an sich, die „Notwendigkeit der Eingliederung der Kunst in das einheitliche künftige Kulturbild“, wobei er für die Er-. richtung eines Staarssek*-etariats für Kul-rurangelegenheiten plädiert. Zwei Kapitel erwecken unser besonderes Interesse: im ersteren appelliert Peters an die Christen der beiden großen Bekenntnisgemeinschaften, sich tatkräftig mit einzusetzen beim Wiederaufbau der deutschen Kultur — einer Zusammenarbeit der Christen untereinan- ' der wie auch mit Andersdenkenden stehen heute nicht mehr die Schranken der Vergangenheit entgegen — gerade aus ihrer Einsicht in die tieferen Gründe des Verfalls und Zusammenbruchs ergibt sich die ernste und schwere Verpflichtung für die Christen, überall dort mitzuarbeiten, wo in Staat,

Schule, Bildungs- und Kulturwesen um den Aufbau einer neuen Lebensgemeinschaft gerungen wird!

Im anschließenden Abschnitt (S. 120 ff.) fordert Peters den Aufbau einer S t a a t s e t h i k: „... die Staatsethik ist die Voraussetzung wie die Hüterin der Rechtsordnung von innen her.“ Immer noch gilt weithin der Satz „Macht geht vor Recht“, wobei Macht und Recht auf eine Stufe gestellt werden, während sie in Wirklichkeit verschiedenen Ordnungen angehören; „Macht und Gewalt sind Mirtel, Recht und Sittlichkeit aber sind Inhalte“. Der Satz „Macht geht vor Recht“ kann also nur bedeuten: „Mit Macht ausgestattetes Böse vermag das Recht ohne Macht zurückzudrängen.“ Peters rührt hier an einen besonders wunden Punkt der deutschen Seele: Ist diese nicht immer wieder, seit Friedrich II. von Preußen seinem Anti-Machiavell schrieb, den Versuchungen der Macht erlegen — gibt ihr zudem der Augenschein der Zeitverhältnisse nicht recht? Siegt nicht allenthalben in der Welt die Brutalität des Terrors, die Übermach-tung des Schwächeren durch den Stärkeren? Hier gibt nun Peters einen wesentlichen

Hinweis. „Wie oft tritt die Sühne für schwere Verletzungen der Staatsethik erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten ein.“ Die Folgen der Religionskämpfe wirken in Deutschland bis auf den heutigen Tag nach, die Gewalttaten der petrinischen Kirchenreform eitern in Rußland jahrhundertelang aus, dasselbe gilt für die tausendjährige Tragödie Spaniens und vieler anderer Länder ... Dies Kapitel über die Staatsethik ist deshalb so besonders wichtig in einem für Deutsche geschriebenen Buch über Kulturprobleme, weil auch heute wieder wie nach dem letzten verlorenen Krieg der deutsche Massenmensch („Gebildete“ zu- ■ allermeist!) zu der Ansioi« neigt: wozu Geist und Geistigkeit, wozu Kultur, wichtig und wesentlich ist allein die Macht, um sie müssen wir heute neu kämpfen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln .. „ wie läßt doch so ausdrucksstark Hanns Jobst seinen „Helden“ sagen: „Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Revolver ...“

Peters kennt diese Versuchungen des Deutschen: zwischen Machtrausch und Servilismus, zwisdien latenter und jäh offen aufbrechender Verzweiflung geht ef~ seinen Weg in einem Zickzackkurs der Extreme. Diesem Nihilismus stellt Peters entgegen: Nüchternheit, wissenschaftliche Sauberkeit, zähen Arbeitswillen, Vertrauen auf die schöpferische Kraft des deutschen Volkes — und einen tiefen persönlichen christliche» i Glauben.

Die neue deutsch« Kultur hat aus fünf großen Stromkreisen eine Synthese zu erkämpfen: diese sind Antike und Humanismus, das Christentum, der große abendländische Rationalismus der Neuzeit, die Romantik („als letzte, bisher voll zur abendländischen Gesamtschau entwickelten ' Geistesrichtung“) und der Geist der modernen Technik, „die Technisierung de» Lebens“ (S. 52 ff., vgl. 218 f.). Welch ein Kampf gegnerischer Kräfte! Und doch — nur wenn diese in dialektischer Auseinandersetzung um eine neue Einung ringen, kann es verhindert werden, daß die Kultur der Deutsdien wieder den düsteren men-schenmordenden Monologen besessener Monomanen anheimfällt! Peters verweist in diesem Zusammenhang auf die einzigartige Stellung Berlins, welches heute der Brennspiegel aller Weltmächte sei: was für Gefahren, aber auch was für Chancen für den gläubigen Arbeiter...! Peters ist der An-sdiauung, daß ohne „Einbeziehung der Kräfte des Ostens“ eine künftige deutsche Synthese nicht gedacht werden kann! Dieses Bekenntnis zum Zusammenspiel gegensätzlich verlaufender Kräfte scheint uns wesentlich an diesem ersten Versuch einer neuen Bilanz der deutschen Kultur zu sein. Hier sucht ein Mann auf der Basis der Arbeit und Wissensdiaft, des. politischen Anstands und des Glaubens einen neuen Weg zu gehen — im Vertrauen auf die echten Werte der Vergangenheit, bauend auf eine, mögliche Leistung der Gegenwart: lapidar und groß das Bekenntnis: „Wir müssen uns selbst helfen.“

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