Rare Orte für Individuen

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Lentos-Direktorin Stella Rollig über die Aufgabe der Museen in den Landeshauptstädten.

Die Furche: In Österreich wird derzeit heftig über die Bundesmuseen, ihre Programme und Ausrichtungen debattiert. Das Ministerium hat sogar einen "Museumsreformprozess" unter der Leitung von drei Moderatoren eingeleitet. Ist es tatsächlich so schlecht um die österreichische Museumslandschaft bestellt?

Stella Rollig: Die Frage ist, was man sich davon erhofft und wie man die Problemlage definiert. Genau das ist mir bei dieser "Museumsreform" nicht klar. Mir kommt vor, dass die politisch Verantwortlichen, in dem Fall Ministerin Claudia Schmied, von den Medien angetrieben werden. Das Problem bei dieser Museumsdebatte ist, dass sie zu stark personalisiert wird. Ich kann mich nicht des Verdachts erwehren, dass die Kritik an Strukturen und der Arbeit von Museen mehr mit einer Kritik an dem Gebaren und dem Habitus von einzelnen Museumsleiterinnen und -leitern zu tun hat.

Die Furche: Problematisch sind also nicht Ausrichtung und Inhalt der Museen, sondern die handelnden Personen?

Rollig: Nein, aber ich meine, dass die Inhalte von der Kritik an einzelnen Museumsleitern und -leiterinnen verdeckt werden. Wenn ich die Medien verfolge, kommt mir vor, die Herrn Schröder und Seipel sind immer das böse Krokodil, auf das der Kasperl, das sind bestimmte Journalistinnen und Journalisten, immer draufhaut - egal, was sie tun. Und das wird dann als Museumsdebatte aufgefasst. Das heißt nicht, dass keine Diskussion notwendig wäre - nur sehe ich nicht so richtig, wie sie geführt wird.

Die Furche: Die Grünen und ihr Kultursprecher Wolfgang Zinggl haben bereits vor längerem eine radikale Neuordnung der Museen vorgeschlagen, das heißt, dass es in Hinkunft keine "Doppelgleisigkeiten" mehr geben sollte. Stattdessen schlagen sie nur mehr wenige Museen vor, die jeweils ein ganz spezifisches Gesicht haben sollen. Was halten Sie von solchen Vorschlägen?

Rollig: Ich glaube, dass der Vorschlag der Grünen, alle Bundesbestände in einen Topf zu werfen und neu zu verteilen, nicht funktionieren kann. Ich zweifle auch daran, ob das sinnvoll ist. Man kann leicht sagen, dass sich das MAK wieder seiner Kernaufgabe, der angewandten Kunst, widmen soll und die Albertina den grafischen Künsten, aber man kann das Rad der Zeit ja nicht zurückdrehen. Soll man plötzlich der Albertina, die jetzt eine überdimensionierte Tourismus- und Museumsmaschine mit riesigen neuen Ausstellungsflächen ist, sagen: "Ihr dürft jetzt nur mehr Grafik zeigen." Das ist doch undenkbar.

Die Furche: Sie finden also die Kritik, dass die Museen oft dasselbe zeigen und kein unverkennbares Profil mehr haben, nicht berechtigt?

Rollig: Ich halte das Bild, dass alle dasselbe machen, für übertrieben. Wenn man sich den Umfang des Ausstellungsprogramms ansieht, so ist das ein verschwindend kleiner Teil. Sicher kommt es manchmal zu Überschneidungen.

Die Furche: So wie jetzt bei Kokoschka, dem in diesem Frühjahr im Belvedere, in der Albertina und bei Ihnen im Lentos Ausstellungen gewidmet sind, obwohl gar kein Gedenkjahr ist.

Rollig: Ich sehe das nicht so negativ. Solche Schwerpunkte können ja auch für Synergien und gesteigerte Aufmerksamkeit genutzt werden. Überschneidungen und Konkurrenz werden sich auf jeden Fall nicht durch eine Museumsreform auflösen lassen. Alle Museen stehen unter enormen Druck, möglichst viel Publikum anziehen zu müssen. Es wird überhaupt nicht mehr geschaut, wer wie gute Arbeit macht, sondern es ist ein ständiges Ranking um Besucherzahlen. Es gibt keine Kompetenz, die beurteilt, wie gut die Museumsarbeit der einzelnen Häuser ist, und es fehlt ein Kriterienkatalog.

Die Furche: Und wie sollte so ein Kriterienkatalog aussehen?

Rollig: Auf jeden Fall sollte man schauen, wie ein Museum mit seiner Sammlung arbeitet und wie Forschung betrieben wird. Wir wissen ja, dass alle Bereiche der Museumsarbeit heute ins Hintertreffen geraten bis aufs Ausstellen. Für ein kleineres Haus wie das Lentos sind diese Aufgaben gar nicht mehr alle zu leisten, weil das Ausstellen so eine Dynamik bekommen hat und auch verlangt wird. Von Interesse ist auch, an wen sich die Ausstellungen richten. Wird eher auf das traditionelle, kunstaffine Publikum gesetzt oder versucht man gezielt, die Publikumsschichten zu erweitern? Wichtig wäre auch, darauf zu achten, wie es mit den Geschlechterverhältnissen sowohl im Haus als auch im Ausstellungs- und Ankaufsbereich aussieht.

Die Furche: Und eine Kommission auf ministerieller Ebene sollte prüfen, ob diese Kriterien erfüllt werden?

Rollig: Aus Sicht einer Museumsleiterin ist es natürlich eine ziemliche harte Vorstellung, dass man ein Kontrollgremium vorgesetzt bekommt, das in einem Punktesystem die Hausaufgaben bewertet und einen beurteilt.

Die Furche: Aber was sollte dann das Steuerungselement sein, um mehr Struktur in die Museumslandschaft zu bringen?

Rollig: Ich glaube, das Steuerungselement in diesem Bereich ist die personelle Besetzung. Die Ministerin hat ohnehin die Befugnis, Leitungen zu besetzten. Man muss ja nicht jemanden, dessen Leidenschaft der zeitgenössischen bildenden Kunst gilt, an die Spitze des Museums für angewandte Kunst setzen. Ich würde es für sinnvoller halten, da etwas genauer hinzuschauen und Personen, die eben ein einschlägiges kuratorisches Profil haben, auszuwählen als umgekehrt plötzlich jemandem Vorschriften zu machen.

Die Furche: Sie sind in Linz in einer besseren Situation als in Wien und müssen sich weniger dem Konkurrenzkampf aussetzen. Welche Rolle nehmen die Landeshauptstädte in der Museumsdebatte ein?

Rollig: Wir müssen viel breitere Interessen abdecken als jedes einzelne Museum in Wien. Das habe ich durch die Arbeit am Lentos erfahren. Als ich angetreten bin, hatte ich die Vorstellung, das Lentos zu einem Ort zeitgenössischer Kunst zu machen. Dieses erste Konzept war radikal: Ich wollte der vorhandenen Sammlung ausschließlich zeitgenössische Kunst gegenüberstellen. Dann habe ich erkannt, dass so ein Museum auch die Verantwortlichkeit hat, breiter aus der Kunst und Kunstgeschichte zu vermitteln. Oft sind die Grundlagen gar nicht da, mit denen man zeitgenössische Kunst adäquat rezipieren kann.

Die Furche: Das bedeutet aber, dass sich für die Museen der Landeshauptstätte die Frage einer eventuell stärkeren Profilierung gar nicht stellt.

Rollig: Ich sehe es als Herausforderung, sich nicht auf einen abgesteckten Bereich der Kunst zu konzentrieren. Dennoch geht es um einen bestimmten Kunstbegriff - so interessieren wir uns im Lentos für eine kritische, realitätsorientierte Kunst. Für eine Kunst, die sich mehr an Inhalten als an Stilfragen orientiert. Mit dieser Haltung muss man umso genauer auswählen, welche historischen Positionen man zeigt und wie man diese mit zeitgenössischer Kunst in eine Gegenüberstellung bringt.

Die Furche: In dem Statement des Ministeriums zum "Museumsreformprozess" ist von der großen gesellschaftspolitischen Aufgabe der Museen die Rede. Worin besteht diese?

Rollig: Die Museen sind einer der raren Orte, an denen freie, nicht zweckorientierte Wissensproduktion und Selbstvergewisserung von Individuen möglich ist. Ich wünsche mir eine kritische Kunst, von der die Menschen, die unser Museum besuchen, angestiftet werden, sich ihren Reim auf die Welt zu machen. Also sich zu überlegen, wo Handlungsoptionen sind. Die Kunst bietet eine ungeheure Freiheit! Mich würde es nicht befriedigen, wenn der Museumsbesuch eine Art Selbstverwirklichung zur Folge hätte, die in Freizeitmalerei endet. Vielmehr soll die Kunst Lust machen, an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen und aus dem kleinen Schrebergärtchen herauszutreten, den üblicherweise das kunstinteressierte, wirtschaftlich besser gestellte Publikum hat.

Das Gespräch führte Johanna Schwanberg.

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