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Das Fernsehen des Wählers

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In den Vereinigten Staaten hat das jüngste Produkt auf dem Gebiete der Massenübertragung, das Fernsehen, heute schon eine Entwicklung erreicht, deren Tempo und Ausmaße selbst die Massenverbreitung des Automobils in den frühen Tagen Henry Fords des Älteren in den Schatten stellen.

Seinen ersten Anerkennungserfolg erwarb sich das Fernsehen, als es im Vorjahr zum erstenmal in der Geschichte dem breiten Publikum Einblick in die Verhandlungen jener Senatskomitees gewährte, welche die Beziehungen zwischen dem Verbrecherwesen und einzelnen Polizei- oder politischen Stellen sowie Mißstände bei gewissen Steuerbehörden aufdeckten. Aber erst in dem gegenwärtigen Präsidentschaftswahlfeldzug hat sich das Fernsehen vollends als ein wertvolles, in der Zukunft vielleicht unentbehrliches Hilfsmittel in großen öffentlichen Angelegenheiten bewährt. Wahrscheinlich dank dieser Erfindung wird das bisher übliche Verfahren bei der Präsidentenwahl einer wesentlichen Revision unterzogen werden.

Die Geschichte des Fernsehens als eines Hilfsmittels der Demokratie setzt mit dem Auftreten General Eisenhowers als Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikanischen Partei im Frühsommer dieses Jahres ein.

Die Lage, vor die sich Eisenhower damals gestellt sah, war paradox. Er hatte die allgemeine Volkstümlichkeit seiner Person für sich, und die eigene Partei gegen sich. Selbst innerhalb seines engsten Kreises stand man den Aussichten seiner Anwärterschaft auf die Kandidatur skeptisch gegenüber. Die „Alte Garde" der Republikanischen Partei, der die überwiegende Mehrheit der aktiven Parteipolitiker angehörte, war auf den Senator Robert Taft, den „Mr. Republi- can", eingeschworen. Der offizielle Parteiapparat befand sich fast restlos in den Händen von entschiedenen Taft-Anhängern, die durchaus entschlossen waren, das Machtmittel der von ihnen beherrschten Parteiorganisation zur Durchsetzung ihres Willens zu gebrauchen.

Dies kam augenfällig schon bei der Aufstellung der Delegierten zum Ausdruck, denen auf dem Parteikongreß in Chikago die Wahl des Präsidentschaftskandidaten oblag. Das Verfahren bei der Erwerbung eines Delegiertenmandats ist sehr verschieden, es schwankt in allen Variationen zwischen reiner Volkswahl und selbstherrlicher Ernennung durch ein lokales Parteikomitee; in einzelnen Staaten werden sogar verschiedene Varianten gleichzeitig angewendet, ohne daß das Ergebnis der Volks wähl auf die Entscheidung des Parteikomitees von zwingendem Einfluß sein muß. So konnte es geschehen, daß in einzelnen Staaten Anhänger Tafts zu Delegierten bestimmt wurden, wo aus den gleichzeitig vorgenommenen sogenannten „Prioritätswahlen“ — namentlich dank der Stimmen der jüngeren Parteimitglieder — Eisenhower als Sieger hervorgegangen war.

Als Stratege gewohnt, die Schwäche des Gegners zu erkennen und auszunützen, hieb Eisenhower im ersten Augenblick seines Erscheinens in der politischen Arena mit ganzer Kraft in diese Bresche ein. Unter dem Losungs wort einer „Reinigung der Atmosphäre“ im Sinne der Anwendung sittlicher Kampfmethoden forderte er eine Revision der Delegiertenmandate vor den Augen der Öffentlichkeit. Zu diesem Zwecke verlangten seine Anhänger zunächst, daß die Verhandlungen des Komitees, das die Ratifizierung der Mandate auf dem Parteikongreß in Chikago durchzuführen hatte, durch Rundfunk und Fernsehen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten.

Diese Forderung, die eine Revolutio- nierung der bisher üblichen Komiteesitzungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit darstellte, wurde durch die Mehrheit des von Taft-Anhängern beherrschten Komitees abgelehnt, in der Plenarsitzung des Parteikongresses jedoch angenommen. Damit hat Eisenhower seinen ersten politischen Sieg errungen. Es unterliegt heute keinem Zweifel, daß der offene Einblick, den die breite Masse der Wählerschaft durch den Rundfunk, vor allem aber auch durch das Fernsehen in die Vorgänge im Mandatskomitee und später auch in der Voll-

Sitzung des Kongresses selbst gewann, dessen Ausgang mitentschieden hat.

Mit einemmal wurden die oft recht un- demokratischen Methoden, die lokale Parteifunktionäre bei der Erteilung und später auch bei der Ratifizierung von Delegiertenmandaten angewandt halten, vor aller Welt offenbar. Jeder einzelne Redner — im Komitee sowie im Plenum — wurde sich plötzlich der Tatsache bewußt, daß nicht nur, wie bisher, seine Ausführungen am nächsten Tage von der Presse der Öffentlichkeit vorgelegt würden, sondern daß sein Benehmen von Millionen Wählern, von Alaska bis Texas und von New York bis San Franzisko, scharf beobachtet und abgeschätzt werde. Hatte der schwungvolle Tonfall eines Redners bisher den Rundfunkhörer noch täuschen können, so stellte die scharfe Linse des Fernsehapparats nunmehr seine Persönlichkeit vor aller Augen heraus. Mancher, den man nicht anders denn als einen gewandten Wortakrobaten aus dem Rundfunk kannte, erzielte nun, da er durch das Fernsehen auch visuell festgehalten wurde, einen unfreiwilligen Lacherfolg.

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