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Der Tod kommt lautlos

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Es ist nicht immer die Reichweite oder die Zerstörungskraft einer Waffe, die ihren „Ruf“ ausmacht. Obwohl man durchaus darüber streiten kann, ob es sehr viel humaner ist, Menschen auf „konventionelle“ Art umzubringen, statt mit jenen Mitteln, die die moderne Technik dafür bereitzustellen sich heute bemüht, so sind es doch vor allem diese neuen Waffen, und hier in erster Linie die chemischen und biologischen Kampfmittel, die die besondere Abscheu einer seit Jahrzehnten von endlosen Kriegen und Gewalttaten gefolterten Menschheit hervorrufen. Warum?

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Es ist nicht immer die Reichweite oder die Zerstörungskraft einer Waffe, die ihren „Ruf“ ausmacht. Obwohl man durchaus darüber streiten kann, ob es sehr viel humaner ist, Menschen auf „konventionelle“ Art umzubringen, statt mit jenen Mitteln, die die moderne Technik dafür bereitzustellen sich heute bemüht, so sind es doch vor allem diese neuen Waffen, und hier in erster Linie die chemischen und biologischen Kampfmittel, die die besondere Abscheu einer seit Jahrzehnten von endlosen Kriegen und Gewalttaten gefolterten Menschheit hervorrufen. Warum?

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Der Autor des vorliegenden Buches, Robin Clarke, seines Zeichens Journalist und Herausgeber von „Science Journal“, glaubt den Grund darin zu sehen, daß sich unter anderen etwa die biologischen Waffen so gut wie ausschließlich nur gegen die Zivilbevölkerung richteten. Das trifft aber bei weitem nicht nur hier zu, sondern galt bereits für die Fliegerangriffe des zweiten Weltkrieges auf offene Städte. Auch von interkontinentalen Raketen mit womöglich multiplen Sprengköpfen wird man ebenfalls keine subtilen völkerrechtlichen Unterscheidungen erwarten können, und die Technik des modernen Guerillakrieges sieht den Terror gegen die Zivilbevölkerung geradezu als ein wesentliches Erfordernis vor. Das kann also der Grund für die besondere Angst vor den „stummen Waffen“ nicht sein. Er liegt schon eher in der Lautlosigkeit ihrer Wirkung, er liegt vor allem aber darin, daß man über den Stand ihrer Entwicklung, über ihre Verwendungsmöglichkeiten und auch über eventuelle Schutzmaßnahmen gegen sie so gut wie vollkommen unorientiert ist. Der Autor hat daher, als er 1968 unter dem Titel „We all fall down“ die chemische und biologische Kriegführung erstmals beschrieb, ein ebenso sicheres Gefühl für ein allgemein interessierendes Thema bewiesen wie der Zsolnay-Verlag, der sodann die übrigens sehr gute deutsche Übersetzung besorgte. Um so mehr ist es dem Verfasser anzurechnen, daß er der an sich naheliegenden Versuchung widerstand, den Leser durch einen entsprechend gefärbten „Tatsachenbericht“ noch zusätzlich in Panik zu versetzen. Er hatte es freilich auch nicht nötig, denn was er in diesem „Sachbuch“ auf wirklich sachliche Weise berichtet, reicht vollkommen aus, um einem das Gruseln beizubringen.

Etwas, woran dieses Buch, gewissermaßen vom Stoff her, zwangsläufig leidet, ist das Fragmentarische der Information. Ist schon das Material über den Stand der Entwicklung im Westen notgedrungen lückenhaft, so fehlt über den Osten jegliche Nachricht. Daß derartige Waffen aber auch dort vorhanden sind, steht außer jedem Zweifel. Und dieser Umstand ist sogar in einem gewissen Sinn zu begrüßen, da ähnlich wie auf dem atomaren Gebiet auch auf dem chemisch-biologischen Sektor ein Gleichgewicht des Schreckens momentan wahrscheinlich noch die eheste Garantie dafür bietet, daß diese Waffen im Falle eines Weltkonfliktes nicht zur Anwendung kommen. Auf der anderen Seite wird aber durch die Tatsache, daß der Osten auch über die „stummen Waffen“ verfügt, jener Vorschlag illusorisch, den der Autor selbst am Schlüsse seines Buches macht, um eine chemische oder biologische Kriegführung zu verhindern. Er meint, das einzige Mittel hierzu läge darin, daß die mit solchen Entwicklungen befaßten Wissenschaftler jede weitere Mitarbeit an derartigen Projekten verweigern würden. Wie zur Anspornung vermerkt er: „Keine demokratisch gewählte Regierung könnte dagegen etwas unternehmen.“ Bin Pech ist es nur, daß es eben auch durchaus undemokratische Regierungen gibt, die sich von derartigen Vorschlägen kaum sehr angesprochen fühlen dürften. Und hier liegt die Gefahr dieser und aller anderer in die gleiche Richtung zielender Vorschläge, daß nämlich ihre Durchführung — sofern sie nicht überall und ausnahmslos akzeptiert wird — der sicherste Weg ist, um das Gleichgewicht des Schreckens in das einseitige Übergewicht eines weltweiten Terrors zu verwandeln.

STUMME WAFFEN. Chemische und biologische Kriegführung. Von Robin Clarke, Paul-Zsolnay-Verlag, Wien-Hamburg 1969. 328 Seiten. S 140.—.

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