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Romane zur arztlichen Ethik

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Windatzt und Apfelsinenpfarrer. Von Friedrich Deich. Verlagsanstalt Hermann Klemm-Erich Seemann, Freiburg im Breisgau. 220 Seiten. Preis 11.50 DM.

Gasbrand. Roman eines Aerzteprozesses. Von Bettina Ewerbeck. Aegis-Verlag, Ulm. 263 Seiten.

Es wird immer ein problematischer Versuch bleiben, Fragen der ärztlichen Ethik in Form eines Ro-manes darzustellen. Hier haben wir es gleich mit zwei Versuchen dieser Art zu tun.

Deich gibt gleichsam zur Rechtfertigung seines Verfahrens an, daß die Darstellung sich auf schriftliche Aufzeichnungen gründe, die ihm von einem Stabsarzt der Luftwaffe übergeben worden sind, über den er in einem Militärstrafverfahren als Psychiater ein Gutachten zu erstatten hatte. Merkwürdig mutet der Titel dieses Buches an; sein Sinn wird erst aus dem Inhalt verständlich. Man kann fragen, ob nicht diese — immer mehr einreißende — Art der Titel-gebung zu beanstanden ist, bei der nicht der Titel bereits etwas über den Inhalt aussagt, sondern selbst erst aus dem Inhalt erklärt werden muß.

Dieser Inhalt selbst stellt sich zunächst dar als eine geistige Auseinandersetzung zwischen dem Anstaltspfarrer einer Irrenanstalt und einem dort tätigen Arzt, der scheinbar über die positivistische Wissenschaft nicht hinausdenkt. Dann kommt der Krieg; der Arzt rückt zur Luftwaffe ein, steig| vom Unterarzt zum Stabsarzt auf und wird beratender Psychiater eines Luftwaffenkommandos. Als solcher gelingt es ihm, mit Hilfe der psychiatrischen Begutachtung manche Angeklagte vor dem sicheren Todesurteil zu retten, bis er schließlich selbst — um seinen Freund, den Pfarrer, der als Sanitätsunteroffizier Dienst tut, zu retten - in die Maschinerie des Kriegsgerichtes gerät und zum Tod verurteilt Wird.

Der Wert dieses Buches liegt in der Erörterung tiefer Probleme der ärztlichen Ethik, vor allem, ob der Arzt nur zum Funktionär eines politisch-militärischen Mechanismus herabsinken darf, für den es nur Befehl und Vorschrift gibt, oder ob er auch unter den Bedingungen des „totalen Krieges“ Mensch bleiben darf oder sogar muß — selbst wenn es ihn, wie hier, das Leben kostet.

Das Buch von Bettina E w e r b e c k ist ein Zwischending zwischen einem Roman und einem Prozeßbericht. Jedenfalls versucht die Autorin, die Form eines nüchternen Prozeßberichtes zu wahren,fowelt diel mit der, Roman form vereinbar ist. Es ist fraglich, ob dieses Verfahren des Nürnberger Aerzte-prozesses überhaupt zu einer romanhaften Darstellung geeignet ist.

Die Aerztin Ilse Kregeloh, ist die Angeklagte. Ihr wird zur Last gelegt, daß sie all Assistentin des Chirurgen Prof. Dr. S t r o b e 1 an Versuchen teilgenommen hat, die der von ihr verehrte — zeitweilig geliebte — Chef an Häftlingen eines Frauenkonzentrationslagers auf höheren Befehl ausführen ließ. Die Häftlinge wurden mit Gasbrand infiziert, um .die Möglichkeiten medikamentöser Behandlung dieser schwersten Wundinfektion mit Sulfonamiden und so weiter zu erforschen,'wobei ein Teil der Versuchspersonen starb. Es kommen hierbei die schwierigsten Probleme der ärztlichen Ethik zur Erörterung: die Frage, ob und inwieweit Versuche am lebenden Menschen überhaupt zulässig sind — sei es .mit oder ohne Einwilligung, sei es, um eventuell zum Tode Verurteilten noch eine Chance derLebensrettung zu geben; Inwieweit der Arzt im allgemeinen an Befehl vorgesetzter Behörden gebunden und von eigener Verantwortung befreit ist; ob er unter den besonderen Bedingungen des totalen Krieges zum absoluten Gehorsam verpflichtet ist oder ob er nach seinem ärztlichen Gewissen solchen Befehlen gegenüber Widerstand zu leisten hat, selbst unter Einsatz seines Lebens.

Auch das Problem des Gewissenskonfliktes zwischen Arzt und Forscher wird erörtert.

Das amerikanische Gerichtsverfahren erscheint gerecht gewürdigt. Es bleibt aber die quälende Frage zurück, ob in diesem Prozeß nicht der eigentliche Angeklagte der wissenschaftliche Materialismus ist, in dem die Aerzte dieser Aera allgemein erzogen waren; und inwieweit diejenigen, die in diesem Prozeß zu Gericht zu sitzen hatten, davon frei waren.

Dem Christen drängt sich der Gedanke auf: Und führe uns nicht in Versuchung I

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