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Spanien, Mythos und Wirklichkeit

19451960198020002020

Von Richard Pallee. Uebersetzt und bearbeitet von Anton M. Rothbauer. Verlag Styria, Graz- Wien-Köln. 600 Seiten, 32 Bilder.

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Von Richard Pallee. Uebersetzt und bearbeitet von Anton M. Rothbauer. Verlag Styria, Graz- Wien-Köln. 600 Seiten, 32 Bilder.

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„Demokratie ist kein politisches System mehr oder minder vollkommener parlamentarischer Formen; Demokratie ist eine ‘Lebenshaltung, die in jeder Lebenslage Vorurteile auszuschließen versucht und erst urteilt, wenn die Tatsachen für sich sprechen; ja selbst dann noch weiß, wie leicht es ist, zu verurteilen, und um wieviel schwerer es ist, zu urteilen." Dieser Satz aus dem Vorwort A. M. Roth- bauers, des Grazer Professors und Hispanisten, der die deutsche Bearbeitung und auch Ergänzungen des zuerst in den USA unter dem litel „Ihis is Spain erschienenen Werkes besorgt hat, drückt eine Wahrheit aus, deren sich oft gerade jene am wenigsten bewußt zu sein scheinen, die am lautesten Anspruch darauf erheben, als ‘Vorkämpfer und als die verläßlichsten Stützen des demokratischen Gedankens anerkannt zu werden. In ihren Kreisen liebt man es rieht, den Dingen auf den Grund zu gehen und die eigene, vorgefaßte Meinung durch Tatsachen erschüttern zu lassen; man nuanciert nicht, das wäre zuviel der Mühe, sondern zieht es vor, schematisch zu klassifizieren, unter gangbaren Bezeichnungen,, wie „fortschrittlich“ oder „reaktionär“, „faschistischtotalitär" oder „demokratisch“, „liberal“ oder „klerikal“ und ähnliches mehr, ohne sich um eine präzise Definierung des gebrauchten Ausdrucks und seine Anwendbarkeit im betreffenden Falle zu bekümmern.

Nirgends ist die Ungerechtigkeit des Urteils, die sich aus einer solchen Haltung’ ergeben kann, ja ergeben muß, so kraß in Erscheinung getreten, wie in der fast universalen Mißdeutung der zeitgenössischen spanischen Geschichte tind in der schroffen Ablehnung, der die heute in Spanien herrschende Regierungsform in der Oeffentlichkeit und selbst in den Staatskanzleien vieler Länder des Westens noch immer begegnet. Die sich da zum Amt eines Richters über Entscheidungen des spanischen Volkes berufen glaubten, in England und Frankreich vor allem, wissen wenig oder wollen nichts wissen von der über hundert Jahre zurückreichenden Erfahrung, die das demokratisch-parlamentarische System anderer Staaten des Westens als eine noch nicht eingespielte Grundlage für das politische Leben Spaniens erwiesen hatte; sie wissen nichts oder wollen nichts wissen von dem blutigen Spiel, das die Regierung der „Volksfront" von 1933 an mit der demokratischen Verfassung des Landes und ihren Verteidigern trieb, noch von den willkürlichen Massenmorden, Plünderungen und Brandstiftungen, mit denen die linksradikalen Elemente, die verhetzten Menschen als ihr

Werkzeug gebrauchend, mit Duldung und unter dem Schutz dieser angeblich demokratischen Regierung den Weg für die Errichtung einer kommunistischen Diktatur zu bereiten suchten; daß der Fehlschlag des kommunistischen Planes allein der nationalen Erhebung vom Juli 1936 zu verdanken war, dem Aufstand der Armee gegen die Regierung, wird ebenso übergangen wie der grundlegende Unterschied, der zwischen dem Regime des General Franco und dem italienischen Faschismus, geschweige denn dem Totalitarismus nationalsozialistischer oder kommunistischer Prägung bestanden hat und besteht.

ln dem vorliegenden großangelegten Werk wird der mancher einseitiger Verzerrung und Verfälschung des spanischen Bildes die historische Wahrheit entgegenstellt. „Spanien — Mythos und Wirklichkeit“ umfaßt nicht allein teine objektive und einwandfrei dokumentierte Darstellung des Bürgerkrieges und der Ereignisse, die zu seinem

Ausbruch geführt ‘haben; es zeigt gegen den mit knappen Strichen, aber ungemein plastisch gezeichneten geschichtlichen Hintergrund der spanischen Nation alle politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Probleme, die den Werdegang dieser Nation charakterisieren und die Wege, die, zum Teil schon mit sehr beachtlichem Erfolg, beschritten worden sind, um die Lösung zu finden; und es erinnert mit einem gerade in unserer Zeit besonders wünschenswerten Nachdruck an die unschätzbaren Verdienste, die sich das katholische Spanien um alle Völker des Westens und um die gesamte Christenheit erworben hat, von der fernsten Vergangenheit herauf bis heute, und an den Dank hierfür, der ihm noch immer vorenthalten geblieben ist.

Unbeschadet seiner wissenschaftlichen Gründlichkeit ist das Buch ungemein flüssig geschrieben und spannender als manch ein fesselnder Roman. Es gehört in die Hand eines jeden, der einen tieferen Einblick in die große Auseinandersetzung unserer Tage gewinnen will, auch wenn das, was in Spanien geschah und geschieht, für ihn nicht den Gegenstand eines besonderen Studiums bildet.

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