Ursprünge des MISSTRAUENS

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Der Mensch braucht Vertrauen, um leben und überleben zu können - gerade in einer Zeit des Misstrauens und der Mehrfach-Krise. Gedanken zum Grundstoff unserer Zivilisation.

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Der Mensch braucht Vertrauen, um leben und überleben zu können - gerade in einer Zeit des Misstrauens und der Mehrfach-Krise. Gedanken zum Grundstoff unserer Zivilisation.

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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, sagt ein geflügeltes Wort. Doch nicht immer haben Sprichwörter recht: Kontrollen kann man umgehen, und dann wäre Vertrauen besser - ist es doch eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Vertrauen ist das Schmieröl der Gesellschaft, und wenn das fehlt, geht nichts mehr so richtig. Das lässt sich an den Ereignissen um den VW-Konzern in nahezu Echtzeit beobachten. VW manipulierte die Tests der Abgaswerte bei Dieselmotoren und trickste so die Kontrolle aus. Schließlich musste die VW-Führung Schritt für Schritt zugeben, dass rund 11 Millionen Diesel-Fahrzeuge von dem Abgas-Test-Schwindel betroffen sind. Was der Umsatzsteigerung dienen sollte, hat das Gegenteil bewirkt. Das Vertrauen in die Marke VW, über Jahrzehnte aufgebaut, ist dahin, auch wenn sich PR-Fachleute um Schadensbegrenzung bemühen. Das soziale Kapital, das mit Vertrauen verbunden ist, ist zerstört.

Vertrauen an der Kippe

Die Krise des VW-Konzerns lässt sich als Symptom einer umfassenden Vertrauenskrise verstehen -einer Krise der Grundlagen des sogenannten "westlichen Systems", des Kapitalismus, der Industrialisierung und parlamentarische Demokratie miteinander verknüpft hat. Nach 1989, dem Zerfall des Sowjetblocks, erschien dieses System als alternativlos: "Es besteht weder das Bedürfnis, noch gar der Anlass, die Zuversicht in das System einer Entscheidung anheimzustellen", schrieb Niklas Luhmann in einem Aufsatz über "Vertrauen" im Jahr 2001.

2003 marschierten die USA in den Irak ein, gerechtfertigt unter anderem mit der Behauptung, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen und Kontakte zu Al Qaida. Die Kriegsgründe der "Koalition der Willigen" wurden wenige Jahre später als Unwahrheiten enttarnt, was das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Regierungen untergrub. Ab 2007 brachten Immobilienblase und Bankenkrise viele Menschen in den USA und in Staaten der EU um Wohnung, Erspartes und Arbeit. Was medial zunächst nur als vorübergehende Erscheinung dargestellt wurde, hat sich als umfassende Finanz-und Wirtschaftskrise erwiesen. Dauerarbeitslosigkeit und zeitgleich eine sich selbst bedienende Wirtschaftselite unterminieren das Vertrauen der Menschen in die Demokratie, die ja oft als "Ergänzung" der Marktwirtschaft dargestellt wird. Die US-Politik unter den Bush-Regierungen trug mit einer medialen Verteufelung des "Fremden", des Islam, der hispanoamerikanischen Zuwanderer, usw. wesentlich zur Entsolidarisierung bei.

Jemand wie Donald Trump kann beim Rennen um die Präsidentschaftskandidatur mit Aussagen punkten, die die Gründerväter der USA schamrot und zornig machen würden - und sich zugleich erfolgreich mit brachialen Aussagen als vertrauenswürdiger als das "System" darstellen. Ähnlich gelingt es rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien nicht nur in Deutschland, Österreich und Frankreich, die Systementtäuschung für sich zu verbuchen und satte Zuwächse an Wählerstimmen einzufahren.

Ungewissheit in Blick auf die eigene soziale Situation führt zu Misstrauen in das System, stellt der polnische Soziologe Sztompka fest. Misstrauen wird, so Sztompka, auch durch Schwäche und Versagen ordnungspolitischer Instanzen gefördert. Weder im Mittleren Osten noch in Afghanistan ist es der US-Politik und den NATO-Verbündeten gelungen, Vertrauen in ein demokratisches System oder wenigstens eine stabile Ordnung zu schaffen.

Die Flüchtlinge, die jetzt nach Europa kommen, flüchten vor den islamistischen Kräften, die dort nach den US-Interventionen hochkommen konnten. Mangelndes Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft in die Arbeit der UNHCR, des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge und mangelnde finanzielle Unterstützung für die von der UNHCR - Flüchtlingslager im Libanon und Jordanien führten zu Hunger und einer für Flüchtlinge aussichtslosen Lage. Das bringt viele auf den Weg nach Europa, zusammen mit Leuten, die direkt aus dem Kriegsgebiet flüchteten.

Massiver Rechtsruck

Misstrauen zwischen den Regierungen der EU-Staaten verhindert eine zukunftsorientierte, nachhaltige Asylpolitik für Europa. Misstrauen der EU-Bürger ihren Regierungen gegenüber, nicht zuletzt wegen der "Wikileaks"-Berichte, dazu ein Mix aus alten Nationalismen und neuer Fremdenfeindlichkeit, führen zu einem massiven Rechtsruck in Europa. Das ist mehr als eine Verschiebung in der politischen Landschaft. Wie in Ungarn und Polen bereits zu sehen ist, wird die Demokratie dabei destabilisiert.

Dabei ist Vertrauen eine wichtige Grundlage der Moderne und der globalisierten Industriegesellschaft, stellte Anthony Giddens schon 1990 fest. Die alltägliche Konsumwelt ist globalisiert und damit auf Vertrauen in gesichtslose Abläufe angewiesen. Psychologisch betrachtet ist Vertrauen ein Kleingruppenphänomen - vertraut wird jenen Personen, die "ein Gesicht haben", mit denen man in enger Kommunikation steht. Was im Dorf oder der Kleinstadt mehr oder weniger selbstverständlich funktioniert, verliert schon unter großstädtischen Verhältnissen die Basis. Ob die Eier, die morgens am Frühstückstisch stehen, wirklich von "glücklichen Hühnern" kommen, wie die Werbung für die Marke vielleicht vermittelt, lässt sich nicht klären. Denn auch wenn als vertrauensbildende Maßnahme der Bauer, dem die Hühner gehören, mit Name und Adresse angegeben ist, also eine Nachfrage "im Prinzip" möglich ist, so wird das nicht so leicht persönlich zu überprüfen sein. Die Angabe von Name und Adresse simuliert, was für Vertrauensbildung wichtig ist: die persönliche Beziehung und Kommunikation, die aber unter modernen Verhältnissen oft nicht mehr gegeben ist. Die Distanzen, die heute von Produktionswegen, aber auch von virtuellen Kommunikationsprozessen überbrückt werden, sind enorm.

Moderne Gesellschaften sind gekennzeichnet durch eine "raumzeitliche Abstandsvergrößerung" (Anthony Giddens), die ohne Vertrauen nicht funktionieren kann. Denn Handlungs- und daher auch ökonomische Handelsfähigkeit setzt Vertrauen als Basis voraus. Das beginnt schon bei der Finanz, wie der Philosoph Georg Simmel zu Anfang des 20. Jahrhunderts analysierte. Vertrauen zu haben bedeutet zu glauben, dass bestimmte Elemente des Lebens konstant sind, und dass daher Erwartungen für die Zukunft verlässlich eintreten werden, so Simmel.

Vertrauen ist ein "mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nicht-Wissen", eine Hypothese für künftiges Verhalten, "die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen". Dass sich Simmel just in einer phänomenologischen "Philosophie des Geldes" ausführlich mit Vertrauen befasst, ist kein Zufall. Geld ist eine Ikone des Vertrauens - jede Banknote ist ein symbolisches Zeichen und ansonsten nur das Papier wert, aus dem sie besteht. Noch mehr gilt dies für die elektronischen Bank-und Aktiengeschäfte, in denen virtuelle Zeichen für virtuelle Summen stehen, also für Geld, für das es auf der physischen Ebene keine Entsprechung mehr gibt. Nur durch wechselseitiges Vertrauen kann diese Abstraktion funktionieren.

Vertrauen + Kooperation = gutes Leben

Als Abstraktion hat Geld die Fähigkeit, an die Stelle von allem und jedem eingesetzt zu werden. So hat das Geld, meint Simmel, viele Vorteile gebracht. Etwa hat die Geldwirtschaft zur Überwindung des Feudalismus und zum Entstehen der modernen Demokratien beigetragen, weil es unpersönliche Beziehungen jenseits von Standesunterschieden möglich machte. Da es von allem Konkreten abstrahiert, kann das Geld einen Zusammenhang zwischen allem schaffen, ähnlich dem, den die Religion intendiert, meint Simmel. Durch das Vertrauen, dass man der Dimension des Geldes entgegenbringt, wird jedoch das Geld zum Endzweck des Lebens. Da geht's aber dann nicht mehr ums Wissen, sondern um Gefühle. Und wenns ums Geld geht, oder den Verlust von Geld, dann wird's eng. Der Verlust des Vertrauens in die Demokratie hat nicht zuletzt mit der Enge der Wahrnehmung der Führungselite zu tun, die nicht bei sich spart, sondern bei denen "da unten".

Eng verwandt mit dem Vertrauen ist die Hoffnung. Die Kraft der Vorstellung, dass es anders und besser sein kann, und das Wissen, dass nichts so bleibt, wie es ist, hilft Menschen auch in scheinbar aussichtslosen Situationen, Neues und trotz aller Widrigkeiten voll Vertrauen auch Unmögliches zu wagen. Wie sonst hätte z. B. Nelson Mandela in den fast drei Jahrzehnten im Gefängnis des Apartheid-Regimes in Südafrika überlebt. Die Vision eines Lebens in gleichen Rechten und gleicher Würde hielt ihn aufrecht. Das Vertrauen in diese Vision gab Mandelas Leben Sinn und Ausrichtung auch unter den unmenschlichen Bedingungen von Robben Island, wo er die ersten 18 Jahre Haft verbrachte, - und seine Mitgefangenen vertrauten seiner Führungsqualität. Nicht Kampf, sondern Kooperation selbst mit den Gefängniswärtern brachte Mandela am Ende den Sieg. Und Kooperation setzt Vertrauen voraus.

Vertrauen kann nicht erzwungen werden - es wird freiwillig gegeben und ist ein Geschenk, so wie das Leben auch. Die Krise des Vertrauens ist global und betrifft nicht nur Europa. Wie jede Krise ist sie eine Chance zum Aufbruch in ein neues Paradigma. Die Wissenschaft hat es schon vorgemacht: durch Jahrzehnte galt in der Biologie der Kampf ums Überleben als Grundlage des Sozialen. Seit Ausbruch der Krise betonen die Soziobiologen jedoch, wie wichtig Kooperation fürs Überleben und fürs gute Leben ist.

Die Autorin ist Journalistin und Kuratorin des Symposions Dürnstein

Trau, schau, wem

Lügenpresse, Politik-Frust, Identitätsverlust, Kapitalismusfalle. Das sind die Schlagworte zum Vertrauensverlust der Institutionen und Ordnungen der westlichen Gesellschaft. Das Misstrauen und die Angst feiern Wahltriumphe. Und doch ist dieser Trend nicht unumkehrbar. Ideen, vorgetragen und erdacht am Symposion Dürnstein 2016, "Vertrauen in unsicheren Zeiten".

Redaktion: Oliver Tanzer

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