Vertrauen - © iStock / Paul Campbell (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Ökumenische Sommerakademie: Brücken bauen

19451960198020002020

Politik wie Kirche erleben derzeit massive Vertrauensverluste. Wie gilt es diese zu kitten? Einblicke in eine Debatte im Stift Kremsmünster.

19451960198020002020

Politik wie Kirche erleben derzeit massive Vertrauensverluste. Wie gilt es diese zu kitten? Einblicke in eine Debatte im Stift Kremsmünster.

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist problematisch, Vertrauen schlechtzumachen. Dauernd Vertrauenskrisen in den Raum zu stellen könnte zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.“ So mahnt die Psychiaterin Adelheid Kastner.

Im Rahmen der Ökumenischen Sommerakademie im oberösterreichischen Stift Kremsmünster ging man der Frage nach, wie weit wir in einer „Gesellschaft ohne Vertrauen“ lebten, wie tief die „Risse im Fundament des Zusammenlebens“ bereits seien. Vertrauen sei ein erstaunlicher Begriff, konstatierte Kastner. Wiewohl man viele Emotionen mit bildgebenden Verfahren im Gehirn darstellen könne, habe man bisher kein Areal für das Vertrauen lokalisieren können. Kastner sieht im Vertrauen eher eine Haltung oder ein „Emotionenkonglomerat“.

So erstaunt es nicht, dass auch die empirische Forschung „Vertrauen“ nur sehr grob wahrnehmen kann. Mittels Meinungsumfragen bildet man einen „Vertrauensindex“, der messen soll, wie weit die Bevölkerung Institutionen und Meinungsbildnern traut. Fahren dabei Polizei, Justiz oder Gewerkschaften beständig hohe Werte ein, befindet sich beispielsweise die österreichische Regierung nach jüngsten Veröffentlichungen auf einem Tiefstand des Vertrauens.

Postfaktisches Misstrauen

Jan Wetzel, Forscher am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, sieht „Schwankungen, aber keinen Zusammenbruch des Vertrauens“. Das Zutrauen in die Politik, große Probleme zu lösen, sei bei den jüngeren Menschen tendenziell weniger stark ausgeprägt. Ebenso habe, wer weniger stark am politischen Prozess teilnehme, geringeres Vertrauen in die Institutionen der Demokratie.

Die Politikwissenschafterin Katrin Stainer-Hämmerle teilt den Befund. Österreich könne man inzwischen als „Zwei-Drittel-Demokratie“ bezeichnen. Während im oberen Drittel der Bevölkerung 71 Prozent die Demokratie für die beste Regierungsform halten, bejahen das im unteren Drittel 35 Prozent. Nur zwölf Prozent dieses Drittels fühlen sich als Teil der Demokratie. Sinkt das Vertrauen in die Kompetenz der Politik, Probleme zu lösen, schwindet auch die Identifikation mit der Gemeinschaft.

Zu befürchten sei eine zunehmende Regelverweigerung eines größer werdenden Teils der Bevölkerung. „Damit Demokratie funktioniert, ist es notwendig, dass 95 Prozent der Bevölkerung 95 Prozent der Regeln freiwillig einhalten“, so Stainer-Hämmerle. Philipp David, Professor für Systematische Theologie in Gießen, konstatiert ein „mobiles Vertrauen in einer mobilen Gesellschaft“. Mit Nietzsche sei das radikale Misstrauen als „intellektuelle Redlichkeit“ in die Welt gekommen. Als „Vulgärmisstrauen“ sei es inzwischen weit verbreitet. Während berechtigtes Nachfragen und Kontrolle für Vertrauen konstitutiv seien, werde es untergraben, wo alles misstrauisch beargwöhnt wird. Schließlich ersticke das nihilistisch grundierte Misstrauen auch das platonisch-christliche Gottvertrauen.

Totales Misstrauen sei aber wie totale Kontrolle menschenunmöglich. „Wir sind durch die Kürze unseres Lebens zum Vertrauen verurteilt, weil wir nicht alles wissen und erfahren können“, meint David. In einer postfaktischen Gesellschaft werde die Zugehörigkeit zu einem „Lager“ wichtiger als die Kraft von Argumenten. Das gelte auch im Raum der Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung