Doris Gruber - © Foto: Ernst Kainerstorfer

"Wechselbeschwerden ernstnehmen"

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Die Wiener Frauenärztin und Hormonspezialistin Doris Gruber über die Begleiterscheinungen rund um die Menopause – und warum sich Mediziner(innen) mehr für die Lebensmitte interessieren sollten.

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Die Wiener Frauenärztin und Hormonspezialistin Doris Gruber über die Begleiterscheinungen rund um die Menopause – und warum sich Mediziner(innen) mehr für die Lebensmitte interessieren sollten.

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Der Wechsel ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Begleiterscheinung des Alterns. Dennoch können diese Jahre krisenhaft werden. Ein Drittel der betroffenen Frauen würden „wirkliche Qualen“ leiden, weiß die Wiener Gynäkologin und Hormonspezialistin Doris Gruber. Im FURCHE-Gespräch beschreibt sie die Vorgänge in der weiblichen Lebensmitte – und ihre Wünsche an die Gesundheitspolitik.

DIE FURCHE: Sie haben Ihren Fokus auf die Wechseljahre gelegt – und betonen, dass man mehr über diese Lebensphase reden müsse. Warum?
Doris Maria Gruber: Weil sehr viele Frauen unterinformiert sind – und ihre Beschwerden, die mit dem Wechsel in Verbindung stehen, oft bagatellisiert werden. Nachdem diese Beschwerden vom Scheitel bis zur Sohle gehen können, suchen sie dann die jeweiligen Fachdisziplinen auf, werden dort organspezifisch behandelt – aber in Wirklichkeit ist es eine Gesamtkörperherausforderung, und die heißt „Wechsel“.

DIE FURCHE: Wie würden Sie beschreiben, was in dieser Lebensphase von Frauen geschieht – und inwiefern kann sie tatsächlich zur Krise werden?
Gruber: Man kann den Wechsel bei einigen Frauen tatsächlich als ganzheitliche Krise sehen – und zwar als eine, die in die entgegengesetzte Richtung läuft wie die Pubertät. Diese ist ja eine Aufbruchsphase, in der sich alles entwickelt, aus dem Mädchen wird eine Frau, die Hormone kommen. Wenn dieses System, das rund 40 Jahre meist mehr oder weniger gut funktioniert hat, dann ruhiggestellt wird und sich das gesamte Hormonsystem wieder zurückentwickelt, bedingt das mitunter Beschwerden – und zwar auf allen Ebenen: auf psychischer und körperlicher, auch mit den Blutungen kann es drunter- und drübergehen. Man muss das also ernstnehmen. Wir haben es zudem hier mit Frauen zu tun, die schon viel Körpererfahrung haben. Wenn diese Frauen sagen: Seit ich im Wechsel bin, ist bei mir die Psyche eine vollkommen andere, dann stimmt das! Hormone sind ja auch neurotrope Substanzen und bauen das Gehirn regelrecht um – wie eben auch in der Pubertät.

DIE FURCHE: Kann man beziffern, wieviele Frauen tatsächlich Beschwerden in dieser Zeit haben?
Gruber: Es drittelt sich: Ein Drittel kommt durch den Wechsel ohne Beschwerden, ein weiteres Drittel hat dann und wann Unpässlichkeiten – und ein drittes Drittel leidet wirkliche Qualen. Sie fühlen sich krank und missverstanden. Als Folge leidet oft die Familienstruktur – das geht mitunter bis zur Berufsunfähigkeit.

DIE FURCHE: Die große Herausforderung besteht darin, diese Beschwerden ernstzunehmen, ohne den Wechsel als natürlichen Prozess im Leben von Frauen generell zu pathologisieren. Viele fordern hier für Frauen mehr Möglichkeit zur Selbstbestimmung ...
Gruber: Das ist richtig. Wobei viele Frauen ihre Situation ja längst in die Hand nehmen und sagen: Moment, ich gehöre nicht auf die Psychiatrie, sondern ich bin im Wechsel! Oder ich gehöre nicht auf die Rheumaambulanz, sondern ich habe Gelenksbeschwerden, die mit dem Wechsel in Verbindung stehen. Hier hat sich – auch durch diverse Initiativen – schon viel getan.

DIE FURCHE: Sie selbst haben einst unter der Leitung von Johannes Huber an der „Hormonambulanz“ am Wiener AKH gearbeitet – wobei die gefeierte Hormonersatztherapie heftig in die Schlagzeilen geraten ist, nachdem eine Metastudie ein erhöhtes Brustkrebsrisiko festgestellt hat. Wie ist heute der Status quo?
Gruber: Aus der Studie, die uns im Jahr 2000 wirklich durcheinandergewürfelt und zu einer extremen Verunsicherung geführt hat, haben wir unsere Lehren gezogen. Damals wurden die Hormone vorzeitig gegeben bzw. die falschen Frauen haben die falschen Hormone erhalten. Heute gehen wir viel vorsichtiger, individualisierter und dosierter damit um. Eine Hormongabe ist heute indiziert, wenn der Leidensdruck entsprechend groß ist und Hormonbild sowie Alter passen. Wobei Hormone die Menopause nicht aufhalten, aber sie lindern die Beschwerden, die durch den Hormonabfall entstehen können.

DIE FURCHE: Sie beklagen den Wegfall der einstigen Hormon- und Wechselambulanzen. Was wünschen Sie sich – auch angesichts der aktuellen Gesundheitsreform?
Gruber: Die Wahrnehmung der Problematik! Jene Frauen, die es sich leisten können, bekommen natürlich auch heute eine entsprechende Behandlung. Aber diese kassenfinanzierten Ambulanzen haben allen Frauen einen niederschwelligen Zugang ermöglicht. Wenn man heute in den wenigen noch bestehenden Klinik-Hormonambulanzen anruft, erhält man oft erst in mehreren Monaten einen Termin. Ein weiterer Wunsch wäre, in der Ausbildung der Gynäkologenschaft, insbesondere in der Endokrinologie, auch die ältere Frau stärker in den Blick zu nehmen und nicht nur das – zurecht wichtige – Thema Kinderwunsch.

DIE FURCHE: Kommen wir am Schluss noch zum Frauengesundheitsbericht 2022, der im heurigen Frühjahr – nach langjähriger Pause – wieder veröffentlicht wurde. Sie merken an, dass darin dem Thema Menopause gerade einmal drei Seiten gewidmet sind ...
Gruber: So ist es. Das scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein, wie unterrepräsentiert diese riesige Frauengruppe in der Medizin wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist. Es wird von Frauen ab 45 oder 50 erwartet, dass sie voll leistungsfähig sind, aber es wird ihnen zu wenig zugestanden, dass sie eine entsprechende Behandlung erhalten, wenn sie Beschwerden haben. Hier herrscht noch eine große Diskrepanz.

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