Gedankenraub
FOKUSWissenschaft: „Die Verlage machen irre Profite“
Mit den Texten von Forschenden machen Verlage Millionengewinne, sagt die Technikphilosophin Amrei Bahr. An der Universität Stuttgart befasst sie sich mit den moralischen Grauzonen des Urheberrechts. Ein Gespräch zum Welttag des geistigen Eigentums am 26. April.
Mit den Texten von Forschenden machen Verlage Millionengewinne, sagt die Technikphilosophin Amrei Bahr. An der Universität Stuttgart befasst sie sich mit den moralischen Grauzonen des Urheberrechts. Ein Gespräch zum Welttag des geistigen Eigentums am 26. April.
DIE FURCHE: Mit Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon haben Sie 2021 unter dem Hashtag #IchBinHanna eine Debatte über prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gestartet. Sie kritisieren auch das akademische Veröffentlichungssystem. Warum sind hier die Urheber, also die Forscherinnen und Forscher, das schwächste Glied in der Kette?
Amrei Bahr: Dieses Problem ist selbstgemacht. Wissenschafter und Wissenschafterinnen forschen, verfassen Texte und veröffentlichen sie bei einem Verlag, wobei sie meist alle Rechte abtreten. Diese Klauseln sind weitreichend, oft verliere ich als Autorin meine Rechte zeitlich und räumlich unbegrenzt für alle Nutzungsarten, auch für solche, die noch nicht bekannt sind. Oft übernehmen aber Forscherinnen selbst ehrenamtlich alle Aufgaben von Lektorat bis Qualitätssicherung. Der Verlag verkauft dann millionenteure Abos an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Selbst die reichen amerikanischen "Ivy League"-Universitäten kämpfen mit der Finanzierung dieser Zugänge, ganz zu schweigen von Universitäten im Globalen Süden. Und die großen Verlage machen unglaubliche Renditen.
DIE FURCHE: Im Jahr 2021 hat der größte deutsche Fachverlag Springer Nature laut eigenen Angaben 1,7 Milliarden Euro umgesetzt – und das mit öffentlich finanzierter Forschung. Die Gewinnmargen der Verlage liegen bei bis zu 40 Prozent. Die amerikanische Elite-Universität Harvard beklagte schon 2012, dass sie sich die jährlichen Abos für Fachjournale von rund 3,5 Millionen Dollar nicht mehr leisten könne. Warum wehrt sich die Wissenschaft nicht gegen die Verlage?
Bahr: Die Macht der Verlage liegt in ihrer Reputation. Strebe ich eine akademische Karriere an, dann muss ich bei angesehenen Verlagen publizieren. Eine neuere Entwicklung ist "Open Access": Ich schreibe einen Aufsatz und zahle dem Verlag eine Geldsumme dafür, dass er ihn online und für jeden kostenlos zugänglich macht. Hier profitiert aber wieder der Verlag. Was wir eigentlich brauchen, ist ein wissenschaftsgetriebenes Publikationssystem, das dieses Reputationsspiel beendet. Das heißt, dass Hochschul- und Forschungseinrichtungen bei der Vergabe von Jobs oder Fördergeldern nicht mehr nur Publikationen bei renommierten Verlagen werten. Ansonsten vergeuden wir weiterhin öffentliche Mittel, damit Großverlage Gewinne machen.
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