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Adenauer IV — und was weiter?

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Nach siebenwöchigen Verhandlungen ist die neue Koalition zustandegekommen. Am Dienstag, den 3. November, wählte der Deutsche Bundestag mit 258 gegen 206 Stimmen bei 26 Enthaltungen zum viertenmal Doktor Konrad Adenauer zum Bundeskanzler. 48 Abgeordnete der neuen Regierungsparteien CDU CSU und FPD hatten sich in der geheimen Abstimmung gegen Adenauer ausgesprochen oder der Stimme enthalten. Di ei waren der Abstimmung ferngeblieben.

Die Versuchung läge nahe, aus den langwierigen Verhandlungen und dieser Tatsache den Schluß zu ziehen, die unter so schweren Geburtswehen endlich zustande gebrachte Regierung sei eine Regierung der Schwäche. Dazu kommt, daß selbst unter den Abgeordneten, die Dr. Adenauer ihre Stimme gaben, nicht wenige sind, die mit Sorge das hohe Alter des Regierungschefs sehen. Adenauer ist heute 86 Jahre alt, das heißt, ebenso alt, wie es einst Hindenburg in dem verhängnisvollen Jahr 1933 War. Die vergangenen sieben Wochen haben aber, so merkwürdig das auch klingen mag, gezeigt, daß solche Überlegungen nur einen relativen Wert haben.

Die nun gebildete Regierung ist wahrscheinlich die beste, die von den westdeutschen Politikern in der Situation von 1961 gebildet werden konnte. Denn das wirklich Deprimierende dieser sieben Wochen ist die Erkenntnis, daß in der Bundesrepublik neben Konrad Adenauer keine politische Substanz von vergleichbarer Größe vorhanden ist. Das versöhnt mit einem Verfahren während der Regierungsbildung, das ganz offenbar mit dem Wahlergebnis nicht übereinstimmt. Das Wahlergebnis hätte bei einer korrekten Ausdeutung Ludwig Erhard an die Spitze eines von CDU CSU und FPD gebildeten Kabinetts, gebracht, wobei Erhard ohne Zweifel aus den beiden Parteien eine bessere Regierungsmannschaft hätte bilden können, als es jetzt der Fall ist. Aber die bittere Erkenntnis dieser sieben Wochen ist, daß Erhard politisch kein Durchstehvermögen besitzt. Eine noch so gute Mannschaft unter ihm wäre schlechter gewesen als das 21-Minister-Kabinett Adenauers. Es hat sich mit erschreckender Deutlichkeit herausgestellt, daß Adenauer auch hier recht hatte, als er 1959 bei der Präsidentschaftskrise Ludwig Erhard als ungeeignet zur Nachfolge bezeichnete. Allerdings ist dieses Problem nur vertagt. Adenauers schriftliche Erklärung, er werde noch vor Ablauf der Legislaturperiode ?u- rücktreten, macht die Nachfolge Adenauers zu einem bisher merk würdigerweise nur von sehr wenigen in seiner ganzen Schwere erkannten Problem dieser Koalition. Diese Frage ist nämlich seit dem Koalitionsvertrag nicht mehr allein eine Frage der CDU CSU. Die FPD wird hier ein entscheidendes Wort mitzureden haben. Ob es Erhard gelingen wird, sein jetzt fast völlig zerstörtes politisches Ansehen wiederzugewinnen, muß als sehr fraglich bezeichnet werden. Der Erklärung Adenauers, innerhalb der nächsten vier Jahre zurücktreten zu wollen, steht zum erstenmal kein eindeutiger Kandidat gegenüben. Es spricht daher sehr vieles dafür, daß dieses Versprechen niemals eingelöst werden wird.

Fragwürdiger „Sieg” der FDP

Die zweite große Frage dieser Koalition ist der Anteil, den die FPD an den großen politischen Entscheidungen gewinnen wird. Mit bemerkenswertem Ungeschick hat deren Vorsitzender, Erich Mende, in sieben Wochen alle Positionen preisgegeben, die ihr einen Einfluß gesichert hätten. Sowohl das ihm persönlich angetragene Außenministerium als das nicht minder wichtige Innenministerium wurden von ihm kampflos aufgegeben und dafür fünf wertlose Ministerien eingehandelt, robei das Festhalten an einem Entwicklungshilfeministerium noch beinahe den Mann (Ludwig Erhard) ge stürzt hätte, den zum Bundeskanzler zu machen Erich Mende am 18. September stolz verkündet hatte. Das wichtigste der von der FPD errungenen Ministerien, das Finanzministerium, dürfte sich angesichts der bevorstehenden Steuererhöhungen als Danaergeschenk erweisen. Da jede Erhöhung der Ausgaben zu Steuererhöhungen führen muß, ist vorauszusehen, daß die Ausgabefreudigkeit der CDU CSU in den nächsten Jahren in dem Maß steigen wird, in dem sie damit ihren Koalitionspartner in der Öffentlichkeit diskreditieren kann. Dieses Monsterstück politischer Naivität wird durch den Koalitionsvertrag, auf den Mende so stolz ist, nicht ungeschehen gemacht, dem zuliebe der FPD-Vorsitzende auch noch das Innenministerium preisgab! Vergeblich wertete er dieses von Adenauer als „schlechtes Papier” bezeichnete Dokument in einer Rundfunkansprache als Staatsgeheimnis auf.

Die schon am nächsten Tag in allen Zeitungen erfolgte Veröffentlichung zeigte allen Lesern, wie nahe benachbart die politische Heimat des FPD- Vorsitzenden von Schilda ist. Trotzdem ist der politische Einfluß dieser Partei schwer vorherzusagen. Es wird der Fraktion kaum verborgen bleiben, in welchem Ausmaß ihr Vorsitzender sich über die Löffel halbieren ließ. Eine unzufriedene Partei aber kann als nötiger Koalitionspartner sehr vielj unangenehmer sein als eine saturierte. Auch von hier gesehen, erhält das Nachfolgeproblem Adenauers eine besondere Bedeutung.

Insofern wird viel von der Konsistenz dieses Kabinetts von dem Verhältnis abhängen, das es zur Opposition, der SPD, gewinnt. Ein halbwegs geschicktes Zusammenspiel der beiden großen Parteien wird die dritte kaum überleben. Hier liegt deren gemeinsames Interesse, denn es liegt ziemlich auf der Hand, daß beide Paiteien darauf hoffen können, bei der nächsten Bundestagswahl einen Teil der enttäuschten FPD-Wähler gewinnen zu können. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß die Zusammenarbeit von CDU CSU und SPD dem vierten Kabinett Adenauer ihren Stempel aufdrücken wird, ja, es ist sogar möglich, daß deren Zusammenwirken sich fruchtbarer gestaltet, als es jetzt in einer großen Koalition von CDU CSU und SPD möglich gewesen wäre. Auf dem Gebiet der Außenpolitik bahnt sich eine solche Entwicklung bereits an, die, zumindest was den linken Flügel der CDU betrifft, auch in der Innenpolitik nicht ganz unwahrscheinlich ist. Das allerdings würde für das politische Leben in Deutschland und die Entwicklung seiner Demokratie einen wesentlichen Faktor bedeuten. Ja, es ist nicht ausgeschlossen, daß von hier allein die große Krise nach dem Abgang Adenauers überwunden werden kann, von der die vergangenen sieben Wochen einen Vorgeschmack gegeben haben.

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