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Das Jahr 2000

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Ich bin überzeugt, daß ich keine Vorhersagen für 2000 n. Chr. machen kann. Obwohl es nur wenig mehr als eine Generation ist, glaube ich nicht, daß irgendein Mensch so weit vorausblicken kann wie diese 35 Jahre. Die Veränderung, die in dieser Periode vor sich gehen wird, wird größer sein als irgendeine andere der Menschheitsgeschichte. Alle „Trend“-Kurven, die wir uns vorlegen mögen, zeigen Raten der Beschleunigung und des Anwachsens, die auf völlig Neuartiges hinweisen. Tabellen von Erfindungen sind dabei nicht allzu signifikant, weil es schwer ist, bestimmte Erfindungen in ihrer relativen Wichtigkeit einzuschätzen. Signifikant ist etwa die Rate der Entdeckung von neuen chemischen Elementen. Bevor die Tabelle der 92 Elemente 1932 vollendet war, erfolgte die Entdeckung unregelmäßig — Element Nummer 19 war etwa das 43., das rein dargestellt wurde; das 45. war Nummer 30 usw. Bei den schweren Elementen zeigen die Entdeckungen eine absolute Regelmäßigkeit — sie erfolgen in der Reihenfolge der Elementnummer. Der Mensch beginnt den Zuwachs seines Wissens bewußt zu kontrollieren.

Oder betrachten wir die fortschreitende Entwicklung in der Beherrschung der Umwelt. Das hölzerne Segelschiff braucht zwei Jahre, um die Erde zu umfahren, das Dampfschiff zwei Monate, das Flugzeug zwei Tage und der kreisende Satellit etwas mehr als eine Stunde. Die Zeitabstände zwischen diesen Entwicklungen haben sich sehr stark verkürzt. Wir können hier von einer mindestens dreimaligen Beschleunigung in der Entwicklung von anwachsenden Beschleunigungen sprechen.

Als Konsequenz unserer Überlegungen und Tabellen ergibt sich der nächste Zeitpunkt für ein bedeutendes neues Kapitel um 1975, heute in acht Jahren. Wir können nur raten, was es bringen wird — die Möglichkeit, uns rund um die Erde zu funken?

Entscheidend ist die Erkenntnis der Beschleunigung der Veränderungen — und daß mehr als 99 Prozent der Technologie, die diese Veränderungen bewirkt, unsichtbar ist. Der Mensch kann nicht sehen, was vorgeht. Er kann in der Chemie nichts „sehen“, er kann die Legierungen nicht sehen. Der Maßstab und die Struktur der Veränderungen können von ihm nicht sinnlich wahrgenommen werden. Nicht nur, daß der sichtbare Bereich nur einen schmalen Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums umfaßt, der Mensch hat auch ein sehr schmales Spektrum der Bewegungswahrnehmung. Er kann die Bewegung der Uhrzeiger oder der Sterne nicht sehen und nicht die Bewegung der Atome.

Ebenso begrenzt ist das Verständnis der unsichtbaren geschichtlichen Faktoren. Wenige Leute sind sich der ungeheuren Macht bewußt, die eine Handvoll Menschen bis zum großen Bankrott 1929 ausübten. Erst 1929 wurden die unsichtbaren „Freibeuter“, die die Meere und Länder beherrschten, gestürzt, als die Fortschritte in Wissenschaft und Technik ihre traditionellen Fähigkeiten überstiegen. Die J. P. Morgans hatten jahrhundertelang durch Manipulation der sichtbaren, fühlbaren, verstehbaren, körperlichen Faktoren gewirkt, indem sie Handel, Wirtschaft und Machtverhältnisse beeinflußten. Wahrscheinlich haben 99 Prozent der Menschen nie gewußt, daß es sie gab, und wissen nicht, daß sie verschwunden sind. Die Kontrolle ging auf Manager und Anwälte über, die die

Leute für ihre Politiker halten j und die furchtbaren Schaden anrichten. Die meisten Völker sind einander außerordentlich wohlgesinnt und hegen nicht die Feindschaft und das Mißtrauen gegeneinander, Wie von ihren politischen Führern behauptet wird.

Genug für alle

Aber man braucht nicht gegen Politiker zu sein, um zu erkennen, daß ihre lokalen Vorurteile unnütz sind. Sie meinen es gut und fühlen sich für „ihre“ oder „unsere“ Seite verantwortlich. Aber jede politische Ideologie und alle politischen Systeme gehen davon aus, daß nicht genug für alle da ist — entweder du oder ich — es kann nicht genug für beide da sein. So setzen wir den Krieg voraus und veranstalten Rüstungswettkämpfe. Diese Gedanken waren einmal richtig. Wenn er es bekommt, ißt ein gesunder Mensch drei Pfund trockene Nahrung, trinkt sechs Pfund Wasser und atmet vierundfünfzig Pfund Luft oder netto sechs Pfund Sauerstoff. Fast immer in der Menschheitsgeschichte war nicht genug von der trockenen Nahrung da, und die Menschen kämpften darum. Sehr oft war nicht genug Wasser da, und die Menschen kämpften deswegen. Niemals war zu wenig Luft da. Die Menschen haben so viel Luft zur Verfügung, daß nie jemand daran gedacht hat, sie zu messen und Geld daraus zu machen. Aber es kommt vor, zum Beispiel bei einem großen Theaterbrand, daß Menschen Atemnot leiden und — nicht gewöhnt daran, um Luft zu kämpfen — in Panik geraten.

Es scheint völlig klar, daß der Mensch nicht mehr kämpf en wird als er jetzt um Luft kämpft, wenn einmal von allem genug da ist. Wenn es ihm gelingt, so viel mehr mit so wenig Aufwand zu produzieren, daß jeder gut versorgt ist, dann gibt es keine fundamentale Ursache für den Krieg mehr. Wissenschaftler versichern uns immer wieder, daß das möglich ist.

Das ist die wichtigste Voraussage, die ich machen kann: Heute in zehn Jahren werden wir uns so verändert haben, daß niemand sagen wird, du müßtest dein Recht zu leben beweisen, du müßtest dein Leben verdienen. In zehn Jahren wird es normal sein, daß ein Mensch Erfolg hat — ebenso wie es die ganze Geschichte hindurch für mehr als- 99 Prozent normal war, wirtschaftlich und körperlich ein Versager zu sein.

Politik wird außer Gebrauch kommen.

Brauchen wir Politik?

Nehmen wir an, wir entfernten in diesem Augenblick alle Maschinen in allen Ländern der Erde, alle Bahngeleise, alle Drähte usw., alles, was wir Industrialisierung nennen — und würfen es ins Meer. Innerhalb von sechs Monaten würden zwei Milliarden Menschen an Hunger sterben, nachdem sie große Leiden erduldet hätten. Nehmen wir anderseits an, daß wir alle Politiker entfernten, alle Ideologien, alle Bücher über Politik — und sie in eine Kreisbahn um die Sonne schickten. Jedermann würde essen wie vorher; alle politischen Hindernisse würden verschwinden, und man würde beginnen, herauszufinden, wie man Uberflußgüter anderswohin senden könne. Sehr bald würden die Menschen sogar etwas besser essen. Das konnte man zu einer anderen Zeit nicht sagen. •

Es ist wahrscheinlich, daß es beachtliche Fortschritte im Transportwesen geben wird, aber unsere gegenwärtige Unfähigkeit, den Verkehr zu bewältigen, ist erschreckend. Auf dem Boden unseres Luftozeans treiben wir uns herum wie Flundern und Krabben. Wir beschränken uns auf überfüllte Röhren und Linien zwischen Häusern und Bäumen, wo wir uns doch in allen Richtungen bewegen könnten. Das steht in deutlichem Kontrast zur Luftfahrt, wo man doch sofort die anderen Flugzeuge aus den Augen verliert und tausende Meilen weit keinen Menschen sieht. Nur wenn man langsamer wird, entsteht wieder Kontakt. Je langsamer wir sind, desto gedrängter sind wir. Und schließlich, wenn wir den Flughafen verlassen und auf die Autobahn kommen, fahren wir absurderweise hintereinander im 100-km-Tempo, in zwei Richtungen gegeneinander mit fünf Fuß Abstand — und jeder einzelne steuert selbst. In einem Jahrzehnt wird uns das eher läppisch vorkommen. Wir werden unsere großen Autobahnprogramme gerade rechtzeitig zu Ende bringen, um aus ihnen eine Art Rollschuhbahn zu machen. Es kann unterhaltsam sein, von Kalifornien nach New York Rollschuh zu fahren — Und man wird genug Zeit haben, es zu tun, wenn man Lust hat.

Aber solche Spekulationen sind verlorene Zeit; es ist wichtiger, darüber nachzudenken, was sich in unseren zwischenmenschlichen Verhältnissen ändern wird.

Übervölkerung ist nicht zu fürchten

Es hat in den letzten Jahren eine große Diskussion über die sogenannte Bevölkerungsexplosion gegeben. Das hängt zum Teil damit zusammen, daß es in vielen Ländern erst seit kurzem Bevölkerungszählungen gibt. Sogar in Europa gehen Bevölkerungszahlen relativ kurze Zeit zurück.

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