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Der Krieg bietet keine Zukunft

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Ein 30 Quadratkilometer großes Gebiet um das bosnische Oräsje in der Save-Ebene haben Kroaten, Moslems und Serben (!) gegen serbische Tschetniks verteidigt. Ist Oräsje ein Rest des alten, verlorenen Bosnien-Herzegowina?

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Ein 30 Quadratkilometer großes Gebiet um das bosnische Oräsje in der Save-Ebene haben Kroaten, Moslems und Serben (!) gegen serbische Tschetniks verteidigt. Ist Oräsje ein Rest des alten, verlorenen Bosnien-Herzegowina?

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Robert Mäsic ist 23 Jahre alt. Er ist Kroate und stammt aus dem bosnischen Oräsje, das vor dem Krieg zu 75 Prozent kroatisch und zu sechs Prozent moslemisch besiedelt war. 15 Prozent machten Serben, den Rest andere Volksgruppen aus. Typisch für das Leopardenfell Bosnien-Herzegowina, wo in den verschiedenen Landesteilen die drei Volksgruppen bis Ende März’1992 friedlich zusammenlebten. Robert Mäsic ist mit einer Moslemin verheiratet, deren Mutter Kroatin, deren Vater moslemischer Bosnier ist.

Mäsic ist vom Krieg schwer gezeichnet. Ohne militärische Ausbildung wurde er nach den serbischen Angriffen in der für die Serben als Korridor zur Krajina strategisch so wichtigen Save-Ebene am 11. Juni 1993 mit drei Kameraden auf eine Spähaktion geschickt. Die Folgen waren verheerend. Eine Springmine, sie explodiert nach der Auslösung in einer Höhe von etwa einem Dreiviertel Meter, tötete Mäsics drei Gefährten; er selbst erlitt schwerste Verwundungen vom Bauch abwärts.

Nach mehreren Operationen und einem Heilverfahren in Zagreb und Slavonski Brod befindet sich Robert Mäsic momentan auf Kur im bur-genländischen Bad Tatzmannsdorf; der benachbarte Pfarrer Franz Gro-zaj, selbst Kroate, in Slawonien aufgewachsen, bei dem Mäsics Mutter als Haushälterin arbeitet, hat ihm und seiner Frau Herberge gegeben.

MIT DEM HERZEN IN MOSTAR

Die Lage in Oräsje beschreibt Mäsic als ruhig, was den gemeinsamen Kämpfen von Kroaten, Moslems und Serben aus der Gegend gegen die Aggressoren zu verdanken sei. Die 380 Meter breite Brücke über die Save wurde zwar 1991 nach dem Rückzug der Serben aus Slawonien nach Bosnien gesprengt, heute muß man mit einer Fähre nach Oräsje.

Die Menschen in ganz Bosnien hätten sich nach Ausbruch der Kämpfe in Slowenien und danach in Kroatien in der falschen Hoffnung gewiegt, „daß der Krieg nicht kommen wird", beschreibt Mäsic das Denken seiner Landsleute. „Die Kroaten hatten zwar schon einige Befürchtungen wegen der Situation in Kroatien. Trotzdem: die Aussage von US-Präsident Bush, nach Bosnien kommt kein Krieg, hat den Leuten ein gewisses Sicherheitsgefühl gegeben. Dann kam die Anerkennung des Staates Bosnien-Herzegowina (7. April 1992, da hatten serbische Ischetniks ihren systematischen Eroberungsfeldzug in Bosnien schon begonnen, Anm. d. Red.): jetzt glaubten wir, die Welt steht auf unserer Seite."

Die meisten Serben der Region um Oräsje haben damals ihr Gebiet verlassen und sich teilweise serbischen Einheiten angeschlossen, teilweise an der Peripherie von Oräsje oder in Orten angesiedelt, wo die Serben die Mehrheit hatten, in der Hoffnung, sowieso bald mit der Jugoslawischen Armee zurückkehren zu können. Und die Kroaten? Mäsic: „Als wir sahen, was da passierte, sind die Menschen aus einer Gasse oder Straße zusammengekommen und haben versucht, Bürgerwehren zu bilden. Dann sind Leute aus Kroatien gekommen, Soldaten, die schon in Kroatien gekämpft hatten, aber aus Bosnien stammten. Diese ausgeliehenen Kämpfer sind nun zurückgekommen, um uns zu helfen, den Serben Einhalt zu gebieten. Sie haben uns organisiert, uns mit Waffen versorgt." Eine Gesamtstrategie hat es nicht gegeben. „Die einzige Strategie war zunächst nur, das eigene Haus zu verteidigen. Es gab ja nicht einmal Verbindungen von Dorf zu Dorf." Dann wurde Mäsic der 106. HVO-Brigade der selbsternannten kroatischen Republik „Herzeg-Bos-na" mit Sitz in Mostar eingegliedert.

Vor den moslemischen Uberfällen auf Kroaten in Bosnien (April 1993) haben die Kroaten Bosniens Alija Izetbegovic als legitimen Vertreter ganz Bosniens anerkannt. Währende des Krieges war das Mandat Izetbe-govics abgelaufen, die Kroaten waren dennoch einverstanden, daß der Bosniake das Amt weiterführen sollte. Mäsic: „Dann kam es zum Kampf zwischen Moslems und Kroaten, seither können wir Izetbegovic nicht mehr als unseren Vertreter sehen."

Welchem Staat fühlt sich Mäsic zugehörig? „Nach der völkerrechtlichen Anerkennung Bosnien-Herze-jowinas haben Kroaten und Mos-ems gedacht, daß wdr nun einmal unseren eigenen Staat haben. Wir kämpfen noch immer für diesen Staat. Allerdings ist unsere legitime Vertretung heute die Regierung von Herzeg-Bosna in Mostar. Mein Staat ist Herzeg-Bosna, der - wie viele Staaten in der Welt - einen Befürworter braucht. Und unser Befürworter ist Kroatien. Von Kroatien haben wir die gesamte logistische Unterstützung erhalten."

Mäsic befürwortet die Erhaltung Bosnien-Herzegowinas in den anerkannten Staatesgrenzen, wobei jedes Volk eine gewisse Souveränität haben sollte, einen Staat also mit drei Regierangen, aus der eine einzige gebildet werden sollte.

Als Feind betrachtet der bosnische Kroate die serbischen Tschetniks. Ein Zusammenleben kann er sich vor allem mit den Moslems - trotz der andauernden Kämpfe zwischen

Kroaten uneį Moslems in Mittelbosnien - sehr gut vorstellen, auch mit Serben: „In Zagreb leben 50.000 Serben, da ist ja auch ein Zusammenleben möglich. In Bihac, einer moslemischen Region, leben Kroaten und Moslems zusammen. Ebenso bei uns in der Save-Ebene." Die Kämpfe zwischen Kroaten und Moslems hätten die eingeschleusten fundamentalistischen Mudschaheddin ausgelöst.

Zur Kooperation von Kroaten, Moslems und Serben in seiner Heimat meint Mäsic: „So wie es Kroaten und andere Nationalitäten gibt, die noch in der Jugoslawischen Armee aus Überzeugung kämpften, so gibt es auch Serben, die fest überzeugt sind, daß es ein Großserbien nicht geben kann. Das hängt natürlich von der persönlichen Uberzeugung ab. Ich kenne Serben, die mit derselben Kraft gegen den serbischen Aggressor auftreten wie Kroaten. Sie sind sogar besser motivierte Kämpfer, weil sie eingesehen haben, was ihre Volksangehörigen angerichtet haben, und wollen zeigen, daß nicht alle Serben so denken."

Der Krieg hat Mäsic gelehrt, „was der Mensch nicht machen dürfte. Es nbt keine Zukunft durch den Krieg. Jer Mensch wirft alle Beziehungen von sich. Im Krieg zeigt der Mensch nur seine schlechtesten Seiten. Der Krieg kann Menschen nie lehren, wie man das Leben gestalten kann. So gesehen geht dieser Krieg nicht nur den Balkan etwas an, sondern die ganze Welt. Die ganze Welt müßte daraus Konsequenzen ziehen." Mäsic ist fest überzeugt, daß auch die Russen etwas zur Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina beitragen können. Die serbischen Führer wären als Verräter da-estanden, hätten sie auf die USA, )eutschland oder Frankreich gehört. Mit den Russen konnten sie sich als Sieger von Sarajewo zurückziehen.

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