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Der Sieg heißt Ikeda

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In den Vorstädten von Tokio spielen die Kinder „Asanuma und Yamaguchi“. Ein Junge muß auf eine Kiste steigen und laut sprechen. Ein anderer stürzt auf ihn zu mit einem Holzdolch in der Hand. Dann tauschen sie die Rollen. — Von dem Attentat auf Asanuma ist nicht viel mehr geblieben als dieses Kinderspiel und eine verhältnismäßig erfolglose politisierende Witwe. Das „japanische Wirtschaftswunder“ hat es verhindert, daß Japan den Weg der Weimarer Republik weitergeht; zumindest vorderhand. Der Wahlgang und der Wahlkampf waren ruhig und fair, wie in England.

Der Sieg der Liberaldemokratischen Partei heißt ausschließlich Ikeda. Dieser hat zwar nicht sehr viel an dem Regierungsprogramm Kishis geändert, aber das wenige war entscheidend: Erhaltung und Entwicklung der Prosperität, aber unterbaut durch ein System der sozialen Sicherheit; 'bedingungslose Loyalität zum amerikanisch-japanischen Verteidigungsbündnis, aber offene Augen für alle Möglichkeiten des Handels mit den kommunistischen Staaten.

Gegen Ikedas Wirtschaftsprogramm der Verdoppelung des Nationaleinkommens in zehn Jahren hatten die Sozialisten überhaupt nichts ins Treffen zu führen. Sie konzentrierten sich daher auf die Außenpolitik; aber ihr Kampf gegen das Bündnis mit den USA und für die Neutralität Japans hat sich in den Frühjahrskämpfen müde gelaufen und war schon damals durch das „Ohne mich“ der breiten Volksschichten abgelehnt worden.

Ikeda konnte es sich leisten, seinen Wahlkampf auf zwei Linien, der Außenpolitik und der Wirtschaft, zu führen. Sein zugkräftigster Wahlschlager war die Ruhe, die in den vier Monaten seiner Regierungszeit eingetreten ist und auch durch den politischen Mord nicht erschüttert werden konnte, und ist vor allem die Prosperität.

Die Prosperität gibt es in Japan schon seit mehr als einem Jahr. Aber das japanische Volk neigt zum Pessimismus und konnte sich erst in der politischen Ruhe der letzten Monate davon überzeugen, daß sie nicht an der nächsten Ecke schon von Krise und Arbeitslosigkeit abgelöst wird. Es gibt heute unter dem Neunzigmillionen-volk kaum Arbeitslose. Die Löhne der Industriearbeiter sind gestiegen und liegen nur zirka 15 Prozent unter dem österreichischen Lohnniveau. Die Reisernte dieses Jahres war die beste seit Kriegsende. Im weichen Bett der ungewohnten Prosperität ist zur Zeit der japanische Radikalismus eingenickt. Und Ikeda verstand es, im Wahlkampf diese Entwicklung als seinen Erfolg zu buchen.

AUSMISTEN DES AUGIASSTALLES

Aber Kishi ist nicht an der durch Krisen und Kriegsangst aufgeputschten Opposition der Sozialisten gescheitert, sondern an den Hausmachtkämpfen innerhalb seiner eigenen Partei. Kapitalsgruppen waren durch den Handelskrieg Pekings gegen Japan und durch den Niedergang des Handels mit Moskau in Panik geraten und hatten durch ihre Strohmänner die Liberaldemokratische Partei in unzählige einander bekämpfende Lager gespalten und so paralysiert. Die „Furche“ schrieb damals, daß es Ikedas erste Aufgabe sein werde, den Augiasstall innerhalb seiner eigenen Partei auszumisten. Er hat das in unheimlich kurzer Zeit geschafft; in erster Linie durch eine leise Veränderung der japanischen Handelspolitik gegenüber den kommunistischen Staaten.

Der entscheidende Erfolg kam mit den japanischen Wirtschaftsverträgen mit der UdSSR. Mit allen Mitteln hatte Ikeda auf den Erfolg hingearbeitet, und die Abschlüsse in Moskau übertrafen dann wirklich die Erwartungen. Textilmaschinen im Werte von 6,52 Millionen Dollar werden aus Japan nach der UdSSR geliefert werden. Die japanischen Werften, der krisenanfälligste Zweig der Industrie, konnten Aufträge für drei Hochseefrachter zu je 10.000 Tonnen, fünf Großtanker zu je 20.000 Tonnen und 25 Baggerschiffe buchen. Die japanische Eisen- und Stahlindustrie verhandelt noch in Moskau und sie rechnet damit, daß große Sowjetaufträge ihre Immunität gegenüber den wachsenden Handelssperren auf den europäischen Märkten stärken wird. Alle diese Aufträge konnten aber nur auf der Grundlage langjähriger Kredite zu vierprozentiger Verzinsung erzielt werden. Ikeda, der aus Wirtschaft und Finanz kommt, verstand es, die Grundlage zu sichern — und brachte damit ein gewisses Maß von Ruhe in seine liberaldemokratische Regierungspartei; die Vorbedingung zum Wahlerfolg.

KP JAPANS VON MOSKAU GEBREMST

Die Moskauer Abschlüsse waren aber auch Brom für die politische Aktivität der japanischen Kommunisten vor den Wahlen. Und wenn es jemals in der KP Japans einen Kampf zwischen Peking und Moskau gegeben hat, so ist er heute eindeutig für Moskau entschieden. Offensichtlich wiederholt sich nun in Japan, was in den zwanziger und dreißiger Jahren in Europa beobachtet werden konnte: ein saftiger Handelsvertrag mit der UdSSR hat nicht nur im bürgerlichen Lager Ruhe geschaffen, sondern auch als Beruhigungsmittel gegen allzu stürmische, die Wirtschaft und damit die Sowjetlieferungen gefährdende Aktivitäten der Kommunisten gewirkt.

Die Sozialisten spüren sehr gut den neuen Trend zum Konservativismus und reagierten auf das Attentat auf ihren radikalsten, profiliertesten Führer — indem sie sich von den Kommunisten, den Weggefährten der Vergangenheit, so weit wie möglich distanzierten.

Sorgfältig sind sie bemüht, die Erinnerung an die politischen Frühjahrsstürme vergessen zu lassen. Neutralismus war die Losung, unter der die Sozialisten, die radikalen Gewerkschaften Sohyo und die Kommunisten gegen das Bündnis mit Amerika auf die Straßen gezogen waren. Nun proklamieren die Sozialisten „Neutralität und Freundschaft mit den USA“ und organisieren eine „Freundschaftsdelegation nach Amerika“. Sie bemühten sich in der Zeit zwischen dem Wahlsieg Kennedys und den japanischen Parlamentswahlen, die japanische Wählerschaft davon zu überzeugen, daß das „neue Amerika Kennedys“ eine Rechtfertigung der Neutralitätspolitik der japanischen Sozialisten sei, die Niederlage Nixons eine Niederlage der liberaldemokratischen Politik des bewaffneten Verteidigungsbündnisses. Möglich, daß das ein Wahltrick war, um den demokratischen Sozialisten Nishios den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber als Wahltrick ist die neue „Freundschaft mit den USA“ der japanischen Sozialisten noch bedeutungsvoller denn als echte politische Linie.

Der Wahlsieg Ikedas verschiebt die Parallelität der politischen Situation in Japan und in Deutschland von den zwanziger Jahren auf die frühen fünfziger Jahre. Ein „Wirtschaftswunder“ ist seine Grundlage, eine Flut von Eisschränken und Fernsehapparaten, die bis in die wackligsten Holzhütten der Bretteldörfer in den Vororten dringt. Das Bündnis mit den Westmächten und ein breiter Handel mit den kommunistischen Staaten soll dieses Wirtschaftswunder schützen. Solange die Konjunktur anhält, wird e9 den Sozialisten nicht gelingen, gegen diese Kombination aus Prosperität und bewaffnetem Schutz erfolgreich anzurennen. Solange die Konjunktur anhält...

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