6588106-1952_08_02.jpg
Digital In Arbeit

Französische Sörge

Werbung
Werbung
Werbung

„Unfähiges Frankreich“ — so konnte man in diesen Tagen um die große Debatte des französischen Parlaments über die Europaarmee nicht nur in deutschen, sondern auch in österreichischen Blättern lesen. Da ist also, nebst vielem anderen, auch die Rede von „Aussprüchen“ französischer führender Politiker, „die weit eher aus dem Munde psychopathischer Phantasten als von verantwortungsbewußten Politikern stammen könnten .

Solche Rede ist ohne Gesicht, ohne Wissen um die ungemein schwierige Situation, die sich hinter den französischen Widerständen gegen die Europaarmee im allgemeinen und die deutsche Teilnahme daran im besonderen verbirgt, beziehungsweise sidi jetzt, in den großen Debatten der Nationalversammlung, enthüllt. Leicht scheint es, sie auf Ressentiments und alteingesessene antideutsche Affekte zurückzuführen. Wieviel mehr steht aber dahinter: Vorsicht und Angst und Sorge um Frankreichs innenpolitisch immer schwieriger gewordenen „Ausgleich“ (gleitende Löhne, Verknappung des Exportmarkts durch Aufrüstungskosten und Materialien), um die Abschnürung vom afrikanischen Reduit und Rohstofflager, um eine unerträgliche Verschärfung der Lage in Indochina. — Mit gutem Grund sehen führende Politiker die französische Position in Afrika und Asien in eins zusammen mit den Fragen der Europaarmee. Soll sich Frankreich in anderen Kontinenten verbluten, zumindest über Maß und Kräfte in schleichenden Kriegen und Krisen verausgaben, während ihm in Europa eine Stellung entgleitet, die unter seinem wie auch der Beneluxstaaten Protest anscheinend naturnotwendig auf das wiederbewaffnete Deutschland überzugehen droht? — Frankreich vermutet zudem, mit sehr viel guten Gründen, daß sich das afrikanische und asiatische Problem zusehend und sofort verschärfen wird, wenn Rußland in Europa sich einer Verschiebung der Kräfte sehr zu seinen Ungunsten gegenübersieht.

Frankreich wünscht deshalb, und das ist der Hintergrund seiner Verwehrung gegen eine deutsche Beteiligung, und wie es befürchtet, führende Rolle in der kommenden Europaarmee, drei Dinge, die gegenwärtig gar nicht und in Zukunft schwer durchzusetzen sein werden, die es aber als unerläßliche Bedingungen für seine Mitarbeit ansieht: eine amerikanische Garantie für das Wohlverhalten Deutschlands innerhalb der kommenden europäischen Zusammenarbeit, eine stärkere Beteiligung Englands an dieser und zum dritten eine vorsichtige gemeinsame Politik, die seine eigene innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Situation nicht überfordert und noch die Türe offen läßt für neue Verhandlungen mit der Sowjetunion.

Hier handelt es sich keineswegs nur um parteipolitische Bedenken der Sozialisten, von deren Zustimmung das Schicksal der Regierung Faure abhängt, sondern um eine breiteste Schichten des französischen Volkes und seiner Politiker umfassende Meinungsbildung. In diesem Zusammenhang sind auch die vielbeachteten und im Ausland viel mißdeuteten Aufsätze des Weihbischofs von Lyon, Msgr. A n c e 1, und die Rede des Kardinals von Paris über die Ablehnung jeder, auch als Verteidigung verkleideten Form eines Angriffskrieges zu verstehen. Frankreich bangt und sorgt sich — und man sollte es seinen Politikern nicht verargen, wenn sie diesem Bangen und Sorgen so nachdrücklich Sprache verleihen! Ist es wirklich nur eine Schwäche seiner Demokratie, daß sie, abhold jedem Kurzschlußdenken und -mar- schieren, in solcher Stunde nach neuen und anderen Wegen Ausschau hält, die nicht in die Scylla und Charybdis bedingungsloser Unterwerfung unter die Planungen Dritter führen, also in die Gefahr, heute das Wort und morgen schon jede Tatfreiheit zu verlieren? Wer dieses bedenkt, wird sich gerade aus europäischen Gesichtspunkten einer teilnahmsvollen Beobachtung der französischen Notlage nicht versagen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung