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Nichts als ein Stück Papier?

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Im Zentrum des am 31. Juli in Grosny unterzeichneten Abkommens, das dazu diente, die Kriegshandlungen vorerst völlig einzustellen, stehen der „schrittweise” Abzug des größten Teils der russischen Truppen (inzwischen vier Divisionen) und die Entwaffnung der tschetschenischen Einheiten. Außerdem soll mit dem Austausch von Kriegsgefangenen begonnen werden. Ferner wurde eine militärische Entflechtung vereinbart, gemäß der sich die Truppen beider Seiten an allen „Frontlinien” zwei bis vier Kilometer zurückzuziehen haben.

Was den russischen Truppenabzug angeht, ist daran zu erinnern, daß sich Moskau in früheren Verlautbarungen den Verbleib von zwei Brigaden, insgesamt 13.000 Mann, in der Bepublik vorbehalten hat. Das wollen aber die tschetschen'ahen Unterhändler, trotz der Unterzeichnung des Abkommens, keineswegs akzeptieren. So äußerte sich inzwischen Dudajews Generalstabschef Oberst Alsan Maschadow.

Nach unserer Meinung ist das Abkommen vom 31. Juli 1995 nur ein Stück Papier, das nicht viel Wert hat. Jelzin hatte aber einen zeitweiligen Sieg mit diesem Abkommen in Moskau verbuchen können. Dort wurde ihm von mehreren Seiten zur Last gelegt, daß er sich überhaupt in das Abenteuer in Tschetschenien einge-

lassen hat. Generaloberst J. Rodinow, Mitglied des parlamentarischen Verteidigungsausschusses in Moskau, sagte unlängst:

„Die Armee war und bleibt ein Opfer der Politik. Durch die jährliche Reduzierung der Verteidigungsaufgaben mußte man doch bei der Gefechtsausbildung der Rekruten große Abstriche machen, aus wirtschaftlichen Überlegungen mußten die Piloten weniger Flugstunden absolvieren, die Soldaten wurden in Waffen- und Schießdrill unzureichend ausgebildet ...” Die militärische Operation in

Tschetschenien zeigt auch der Welt den Niedergang der russischen Armee. Allgemein wird auch darüber Klage geführt, daß Soldaten, die ihren Grundwehrdienst leisten, im Kampfgebiet eingesetzt werden. Dazu Generaloberst Rodinow: „Woher soll man andere Soldaten nehmen, wenn die dazu erforderlichen finanziellen Mittel nicht bereitgestellt sind?” Dasselbe, klagt er, gilt auch für die Anschaffung moderner Waffen und technischer Geräte.

Und in der Tat: In der heutigen Lage kann die Russische Föderative ReDublik ihre Streitkräfte nicht mo-

dernisieren. Der Staatshaushalt läßt es nicht zu. Harte Tatsachen! Im Klartext bedeuten sie, daß der russische Soldat sozusagen auf eigene Kosten in Tschetschenien führen muß, denn im Staatshaushalt existiert bis heute kein Sonderfonds für den Krieg.

Allerdings gibt das Beispiel Tschetschenien kein vollständiges Bild der Wehrfähigkeit der Bussischen Armee. In Tschetschenien wird ein lokaler Krieg geführt. Eingesetzt ist hierbei nur ein winziger Teil der Streitkräfte. Im großen und ganzen ist das russische Potential noch ausreichend für die Verteidigung des Gesamtstaates. Rodinow: „Die Staatsführung müßte aber bereits heute aus dem Tschetschenienkonflikt ihre Lehren ziehen!”

Die neuesten Nachrichten aus dem Kaukasusgebiet bestätigen unsere Re-fürchtungen: Präsident Dudajew will nicht nachgeben. Er kennt die Russen aus seiner Armee-Zeit. Er traut ihnen nicht. Die TV-Rilder, die uns via Moskau über Tschetschenien in letzter Zeit erreichen, zeigen keine fröhlichen, zufriedenen Gesichter der Einwohner von Grosny. Und auch aus Moskau gibt es keine Meldungen, nach denen man auf einen baldigen Rückzug der russischen Truppen schließen könnte.

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