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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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„ÖSTERREICH — EIN VORBILD in der Behandlung des Nationalitätenproblems.“ So hört es heute bereits das Ausland, das immer mehr die große Leistung des alten Österreich gerade auf diesem Gebiet zur Kenntnis nimmt, so wollen wir selbst heute von der Welt gesehen werden: als ein Land der Versöhnung, des Ausgleichs, als eine „Schweiz des Ostens“. Störend für dieses schöne Bild sind die häßlichen Töne, die gerade in den letzten Wochen von sehr verschieden eingestellten Seiten gegen die Zweisprachigkeit in einem Teil der Kärntner Schulen laut werden. Da wird also bewegte Klage geführt über die Not der sechsjährigen ABC-Schützen, die zwei Sprachen lernen müssen. Vergessen ist das sonst so gern bezogene Schweizer Vorbild, nicht gedacht wird daran, daß es eine Chance Österreichs ist, seine Kinder hier noch eine slawische Sprache in der Schule lernen zu lassen. Wer soll die „Brücke“ zur slawischen Welt tragen, wenn es so weitergeht wie bisher? Immer weniger junge Menschen studieren bei uns Slawistik, immer geringer wird das Interesse für den slawischen Kulturkreis. Das aber heißt auf gut deutsch: wir werden immer enger, wenn wir freiwillig und eilfertig verzichten, das echte Tor zu dieser Welt, ihre Sprache, zuzuschlagen. — Klage über die Zertrümmerung des altösterreichischen Kosmos? Klage über Südtirol? — Sehen wir selbst zuerst nach dem Rechten in unserer kleinen Welt: bezeugen wir hier unseren guten Willen, zu geben und zu empfangen. Jede österreichische Schule, in der eine zweite Unterrichtssprache herrscht, kann eine große Chance österreichischer Bewährung sein — an uns allen liegt es, sie so zu verstehen, zu begreifen und zu gestalten.

MATTHIAS RAKOSI, der bisherige „stellvertretende“ Ministerpräsident der ungarischen Volksrepublik und Generalsekretär der „Partei der Werktätigen“, wurde von dem „Parlament“ zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Die „Wahl“ erfolgte auf einer Sondersitzung, da das ungarische Parlament bekanntlich im Jahr nwr höchstens ein- bis zweimal „tagt“. Sein Vorgänger, Stephan Dobi, übrigens eine der dubiosesten Gestalten der „Partei der kleinen Landwirte“, dieser an fähigen und charakterfesten Persönlichkeiten nie sehr reichen typischen Sammelpartei, wurde gleichzeitig zum „Vorsitzenden des Präsidialrates der Volksrepublik“ bestellt. Sein Vorgänger im Amt, Alexander Ronai, ein früherer sozialistischer Minister, wurde nunmehr Parlamentspräsident. Überflüssig zu betonen, daß alle diese Stellungen leere Schalen sind, deren Inhalt jeweils nach Geheimrezept von der „Partei“ bestimmt wird. Augenblicklich ist die Schale Räkosis voll. Der Sohn einer kinderreichen Familie aus dem Judenproletariat spricht heute die Sprache des ungarischen Bauern, als wäre er einer von ihnen. Er hat es verstanden, die besten Ratgeber, auch Fachleute bürgerlicher Provenienz, um sich zu scharen. Als Redner wird er nur noch von seinem Kollegen Rėvai übertroffen. Der zweifellos hochbegabte Mann wird also sein Werk noch eine Zeitlang fortsetzen. Trotzdem wollen die Gerüchte nicht verstummen... Es heißt, Rdkosi gehe, wie Harun al Raschid, im Volke herum. Er guckt in die Körbe der Marktweiber und hilft den Bedrängten, die sich persönlich an ihn wenden. Es kam schon vor, daß er sogar Deportierungen verhindert hat... Mit einem Wort: er ist jovial, er wird heute oder morgen volkstümlich. Kann das für ihn zu Gutem führen...?

DIE SORGEN FRANKREICHS gelten dem Franc, der Erhaltung der Währung und der Kaufkraft, der Aufrüstung, Indochina, Tunesien, Deutschland. Die Sorge Europas um Frankreich gilt Schuman. Robert Schuman, dem Außenminister, nicht Maurice Schuman, seinem Staatssekretär, der in der kommenden Woche Österreich, das ihn herzlich willkommen heißt, einen Besuch abstatten wird. Der Name dieses Ministers steht, wie einst der seines großen Vorgängers Briand, für eine Sache: für die Integration Frankreichs in einem neuen Europa. Der gemeine Mann von der Straße, der das Elend dieses Europa auf allen seinen Straßen in den letzten Jahrzehnten erfuhr, war nun der Meinung, daß es ein französischer Außenminister nach dem zweiten Weltkrieg leichter haben würde als nach dem ersten, sein Land in eine neue Zusammenarbeit mit Deutschland zu führen. Zunächst schien es auch so, in den ersten Jahren nach 1945; Schuman-Plan und Montanunion schienen seinem Werk, wenn nicht eine Krone aufzusetzen, so doch die Wege Zu ebnen. Männer, die hinter die Kulissen sahen, sagten und schrieben es allerdings schon geraume Zeit anders: seit Jahren hat sich Robert Schuman einer steigenden Welle von Angriffen, einer immer hefti garen Massierung von Gegnern zu erwehren — der Kampf um seine Person, um sein Werk bildet den Hintergrund aller Regierungskrisen Frankreichs! Eine wahrhaft unheilige Allianz von Männern und Mächten sehr verschiedener Herkunft hat sich faktisch und nun auch oft schon sehr praktisch gegen ihn zusammengefunden: von der äußersten Linken bis zur extremen Rechten. Unter der Fahne der Angst (vor Deutschland, aber auch vor einer eigenen Kraftanstrengung) und des Chauvinismus segeln die Freibeuter heran, die seinen Kopf fordern. Nichts Neues unter der Sonne Europas, dieser Bund von „Moskau“ und „Berlin“, wird man versucht sein, zu sagen. Und doch — hier erscheint noch ein Drittes, das ernst zu denken gibt: breite Kreise und Kräfte der „Mitte“ sind abfallbereit, drohen in das alte Brackwasser abgestandener Ressentiments zurückzusinken. Das aber ist ein gefährliches Symptom für ein Versagen jener „christlichen“ und „konservativen“ Schichten — in ihren engen ständischen und materiellen Positionen drohen sie sich überall in Europa ihren eigenen Staatsmännern zu versagen, die notwendigerweise zu Reformen und zu Wegen drängen, die hinausführen über das Interessenfeld ihrer Wähler. De Gasperi, Adenauer, belgische und holländische Staatsmänner — sie alle müssen diesen Drück einer „Mitte“ verspüren, die sich dem Opfer und der Einsicht verweigert. Der Einsicht, was für Morgen heute, bereits getan werden muß. So erhält der innerfranzösische Kampf um Schuman exemplarische Bedeutung: sein Ausgang wird mitentscheiden, wer Europa künftig gestalten wird — eine Bewährungsprobe des „Bürgertums“

SELTSAME, VERWIRRENDE NACHRICHTEN kommen aus dem Nahen Osten: die Abdankung der Könige von Ägypten und Jordanien, die Entmachtung des Schahs, Umsturzzeichen in Libanon: nationale Hochspannung, Militärherrschaft, radikale Bodenreform, Verdrängung des jungen Parlamentarismus. Quo vadis Oriens? Dieses

Zum Katholikentag hat die österreichische Postverwaltung eine Sonderpostmarke herausgegeben, die das Tympanon vom Riesentor der Stephanskirche in Wien mit der Figur des Christus Pantokrator zeigt. Der Entwurf der Marke stammt vom akademischen Maler Alfred Chmielowsky, der Stahlstich von Professor Hans Ranzoni d. J.

wechselvolle Geschehen ist in seinem Ablauf noch nicht zu überblicken. Merkwürdigerweise hat es der europäischen Position bisnun mehr genützt als geschadet. In Jordanien ist nach einem dramatischen. Schlußeffekt, gestützt auf die anglo-jor- danische Legion, der englandfreundliche 17jährige Kronprinz Hussein auf den Thron gekommen. Die ägyptische Militärpartei erweist sich als konzilianterer Verhandlungspartner, als es König Faruk und der Wafd waren, die das Unterlassen sozialer Reformen durch nationale Intransigenz wettmachen wollten — und sie wird dabei, auf längere Sicht gesehen, gut fahren. Syrien sucht Anlehnung an dieses neue Ägypten. Der ewig kranke aber unverwüstliche iranische Ministerpräsident Mossadeq wirbt mit allen Mitteln um die Gunst des Westens, möchte dabei allerdings das eüteignete Riesenvermögen der Anglo-Iranian in der Tasche behalten und nutzbar machen. Nur in Tunesien versteift sich die Haltung der Politiker und des Beys, die ihre Unabhängigkeitswünsche auf der Oktobertagung der UNO präsentiert sehen wollen und Aufwind spüren. Der Aufbruch im Islam wirft im politischen Meer hohe Wogen. Die durchgehenden Rosse einzufangen wird größter Geschicklichkeit bedürfen, denn sie könnten leicht von interessiert beobachtenden Dritten in eine ganz andere Richtung gescheucht werden. Aber das Spiel ist für den Westen keineswegs verloren und der Einsatz ist hoch genug, um es mit Beharrlichkeit weiterzuführen.

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