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„Test“ in Baden-Württemberg

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Am letzten Aprilsonntag hat die CDU im drittgrößten deutschen Bundesland, Baden-Württemberg, einen sensationellen Wahlsieg errungen. Gegenüber der Landtagswahl von 1960 gewann sie 6,8 Prozent oder acht Mandate. Selbst die Funktionäre der CDU waren über den Erfolg sprachlos. Niemand hatte ein so eindeutiges Ergebnis erwartet.

Man hat die Landtagswahl vorher gerne als eine Testwahl zu den Bundestagswahlen des kommenden Jahres bezeichnet und geglaubt, daraus Rückschlüsse über die Beliebtheit des neuen Bundeskanzlers Erhard ziehen zu können. Viele, insbesondere die SPD, die In Landtagswahlen erfahrungsgemäß besser als bei Bundestagswahlen abschneidet, hatten diese Parole etwas leichtfertig in Umlauf gesetzt und sind nun bemüht, sie etwas abzuschwächen. Zwar hat die SPD auch zwei Prozent und drei Mandate gewinnen können. Aber aus verschiedenen Gründen hielt es Willy Brandt für geraten, in einer offiziellen Verlautbarung zu erklären, daß er mit dem Wahlergebnis zufrieden sei. Will er im kommenden Jahr tatsächlich die CDU überflügeln, so ist es mit solchen Erfolgen nicht getan, die viel eher den Eindruck verstärken, daß die SPD nie über eine bestimmte Stärke hinausgelangen kann. Und das würde praktisch bedeuten, daß sie auf ewig zur Opposition verdammt ist. Auch war der Wahlerfolg der CDU noch eindrucksvoller als aus den Prozentzahlen hervorgeht. Hatte die SPD 1960 der CDU 13 Direktmandate abgenommen, so mußte sie diesmal neun Mandate an die CDU abgeben. Man kann also tatsächlich von einem imponierenden Wahlsieg der CDU sprechen.

Es spricht allerdings sehr viel dafür, daß es sich dabei mehr um einen persönlichen Erfolg des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kiesinger als um einen solchen Erhards handelt. Dieses Argument ist auch gegen die These von der Testwahl ins Feld geführt worden. Tatsächlich' ist Kiesinger einer der angesehensten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik. Diesem ungewöhnlich fähigen Mann mit starker Ausstrahlung hatte weder die SPD noch die FDP etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Für die FDP, als deren Stammland Baden-Württemberg immer gegolten hatte, war das Ergebnis besonders enttäuschend. Sie war bei einem Rückgang von 2,8 Prozent oder vier Mandaten die eindeutige Verliererin dieser Wahl. Es war ihr nicht gelungen, sich von den 8,2 Prozent Wählern des BHE von 1960 einer Stimmenzuwachs zu sichern, so da£ ihre Einbuße praktisch noch stärkei war, als es auf den ersten Blick aussieht.

Allerdings spricht das Argument von dem persönlichen Erfolg Kiesingers nur scheinbar gegen die These von der Testwahl. Selbst wenn man nämlich von ihr ausgeht, zeigen sich an diesem Wahlergebnis Tendenzen, die man beachten sollte, weil sie Zeichen einer allgemeingültigen Entwicklung sind. Für gewöhnlich wird seit Jahren immer nur von der Tendenz zu den beiden großen Parteien gesprochen, die sich insofern auch in Baden-Württemberg bestätigt hat, als nur die beiden großen Parteien von dem Zerfall des BHE profitieren konnten. Daneben scheint sich aber immer deutlicher eine Tendenz zu Persönlichkeitswahlen durchzusetzen. Das zeigt sich nicht nur am Gesamterfolg, sondern mindestens ebenso bei den Kämpfen um die Direktmandate, bei denen sich örtlich in erstaunlich vielen Fällen der qualitativ beste Kandidat durchsetzen konnte, gleich, welcher Partei er angehörte. Das müßte auf die Dauer gesehen einen Rückgang des Einflusses der Parteifunktionäre bedeuten, die es sich in Zukunft nicht mehr leisten könnten, wie bisher profilierte, aber unbequeme Kandidaten nicht mehr aufzustellen. Derartige Machenschaften sind ja in den letzten Jahren insbesondere bei der CDU/CSU mehrmals festzustellen gewesen, wobei eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten kaltgestellt wurde.

Zunächst dürfte darin freilich für die SPD ein Handikap liegen, die nach alter Manier am liebsten verdiente Funktionäre aufstellt, die oft qualitativ den bürgerlichen Kandidaten unterlegen sind. In der Wahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister von Berlin war zum erstenmal die Entwicklung zur Persönlichkeit auch bei der SPD zum Durchbruch gekommen, aber es fehlt noch viel, um dieses Prinzip auch in den unteren Organen durchzusetzen. Das würde innerhalb der SPD einen Umbau von der Mitglieder- zur Honoratiorenpartei bedingen, wofür im großen gesehen erst Ansätze zu erkennen sind. Für die FDP könnte daraus noch einmal eine Chance erwachsen. Sie verfügt ja erfahrungsgemäß über eine für die Größe der Partei unverhältnismäßig große Zahl von profilierten Köpfen.

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