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Trümmer im Libanon
Der Nacht-und-Nebel-Überfall regulärer israelischer Armee-Einheiten auf den internationalen Zivilflug-hafen der libanesischen Hauptstadt verändert die Lage im Nahen Osten vielleicht nachhaltiger als selbst der Ausgang des Sechs-Tage-Krieges im vorigen Jahr. So lautete der nahezu übereinstimmende erste Kommentar arabischer, westlicher und östlicher Beobachter in Beirut zu der Vergeltungsaktion für den unverantwortlichen Terroristenanschlag auf eine ,,FiL-AL“-Verkehrsrnaschine in
Athen. Während ein Sprecher der bedeutendsten und mit der sowohl für die noch nicht lange zurückliegende Flugzeugentführung von Rom nach Algier als auch für den Zwischenfall auf griechischem Boden verantwortlichen Organisation konkurrierenden palästinensischen Widerstandsgruppe „El-Fatach“ („Die Eroberung“) für den israelischen Gegenschlag verständlicherweise gewisses Verständnis zeigte, stammelte ein fassungsloser amtlicher libanesischer Sprecher: „Diesmal sind sie zu weit gegangen!“
Um zu verstehen, wie berechtigt der eingangs zitierte Kommentar in arabischen Augen ist, genügte kurz nach dem Angriff ein Blick in das Gesicht des für die Aufräumungsarbeiten zuständigen libanesischen Kabinettsmitgliedes Raymond Edde. Der Minister erschien schon ganz kurz nach dem Abzug der israelischen Kommandotruppe mit anderen hohen Würdenträgern am „Tatort“. Doch seine Erscheinung stand in auffälligem Gegensatz zu der seiner wild gestikulierenden und durcheinander schreienden Kollegen. Mit geballten Fäusten und zusammengepreßten Lippen stand er da und blickte ins Chaos. Um eine Stellungnahme gebeten, schüttelte er nur stumm den Kopf. Dann fuhr er aus der Sondersitzung des Kabinetts ins Präsidentenpalais. Im kalten Zorn dieses weit über den Durchschnitt hinausragenden Politikers spiegelte sich in diesem Augenblick eine ganz persönliche Tragödie: Edde ist einer der ältesten, überzeugtesten und konsequentesten arabischen Befürworter eines friedlichen Ausgleiches mit Israel. Erst vor wenigen Monaten erklärte er vor dem libanesischem Parlament, man dürfe nicht die Augen verschließen vor der unverantwortlichen InfUtrationstätigkeit palästinensischer Freischärlergruppen im Grenzgebiet zu Israel, und die Beiruter Regierung müsse alles tun, um diese die nationale Existenz gefährdende Tätigkeit zu unterbinden. Die leider viel zu wenig beachtete Rede empfahl unausgesprochen, der Libanon müsse sich endlich mit der Existenz Israels abfinden.
Die Betroffenheit dieses Mannes über die israelische Aggressivität läßt ahnen, wie maßlos enttäuscht nun jene Araber sind, die insgeheim oder offen für eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes unter Anerkennung der bestehenden Verhältnisse eingetreten sind. In Regierungskireisen wurde jetzt noch einmal betont, .man tue alles, was in der Macht der Behörden stehe, gegen die Terroristen. „Einen Verrückten können Sie einsperren; doch was machen Sie mit einigen Hunderttausend Verrückten?“ fragte resigniert ein amtlicher Sprecher. Tatsache sei, so ergänzen ausländische Kenner der Verhältnisse, daß auch die Israelis die Terroristentätigkeit nicht völlig verhindern könnten. Um so weniger könnten es also die arabischen Regierungen. Die USA haben Israel kürzlich die sehnlichst gewünschten „Phan-tom“-Düsenmaschinen vertraglich zugesichert, doch es zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die Administration Nixon künftig auch den arabischen. Standpunkt mehr berücksichtigen wolle. Und den geheimnisumwitterten Besuch des sowjetischen Außenministers Gromyko in Kairo interpretiert man hier so, als habe dieser den ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser zu überzeugen versucht, daß eir. friedlicher Ausgleich mit Israel nicht mehr zu umgehen sei. Man glaubt, das sei ihm auch gelungen, fügt aber hinzu, daß das israelische Verhalten jede etwa vorhandene arabische Koexistenzbereitschaft sofort wieder im Keim erstickt habe.
Beiruter Politiker resümieren bitter, jetzt habe sich herausgestellt, daß nicht nur die palästinensischen Guerillas und gewisse arabische Regierungen daran interessiert seien, die Spannungen aufrecht zu erhalten, sondern auch Israel. Nur die Extremisten zeigten bisher Unversöhnlichkeit. Jetzt aber hört man sie auch aus dem Mund sonst versöhnungsbereiter s Politiker. Das ist wahrscheinlich das folgenschwerste Ergebnis des Überfalls. Israel ist wahrscheinlich auf längere.Zeit in arabischen Augen nicht mehr glaubwürdig.
Der kaum gutzuheißende Angriff, der in keinem Verhältnis zu dem in Athen angerichteten Schaden stand,erhöhte zwar nicht die unmittelbare nahöstliche Kriegsgefahr. Kein arabisches Land ist jetzt schon kampfbereit. Doch viele, die den arabischen Terror ablehnen, sind jetzt überzeugt von der fehlenden Verständigungsbereitschaft Israels.
Die Guerillaigruppe „El-Fatach“ plant, wie zuverlässig verlautet, einen großangelegten Gegenschlag. In politischen Kreisen Beiruts ist man darüber keineswegs glücklich. Behörden und Bevölkerung verhalten sich diszipliniert und zurückhaltend. Doch man stellt eine naheliegende Frage an Israel: Warum bestraft man für den individuellen Terror der Palästinenser immer kollektiv die arabischen Regierungen, obwohl sie durchaus nicht alle Helfershelfer dieses Terrors sind? Warum greift man nicht zu individuellen Strafen gegen die Terroristen? Das internationale Kriegsrecht erlaube durchaus, so argumentiert man hier, die standrechtliche Bestrafung von Partisanen. Hier sei ein zwar hartes, aber durchaus verständliches Mittel gegen die Terroristen, So aber dürfte es Israel auch bei seinen Freunden nicht leicht halben, das Unternehmen zu rechtfertigen.
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