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Freiheit und Verantwortung

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Gewiß spielen hier sehr handgreifliche Fragen politischer Macht eine große Rolle. Wir wollen auch nicht übersehen, daß das geistige Leben der Gegenwart und wohl auch in einem gewissen Grade das öffentliche Bewußtsein, sich zum Wesentlichen zu erheben, das Entscheidende zu suchen beginnt, daß man insbesondere dort, wo man um die Erhaltung der Freiheit ringt, den Quellen dieser Freiheit in der sittlich verantwortlichen Persönlichkeit nachspürt. Das wäre doch eigentlich die Freiheit, die das Sehnen unserer Zeit bildet: die Freiheit, gemeinsam die Ordnung zu bauen aus den Kräften und in der Weise der menschlichen Person' idikeit, die Freiheit in der Ordnung, die der Ausrichtung der menschlichen Person auf das soziale Zusammenleben entspricht. Die sozialen Fragen unserer Zeit sind zu jener Reife gediehen, die es erforderlich macht, In allem Denken und Planen, im sozialen Leben, in der Wirtschaft, in der Politik, im Staat, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, den Menschen und die Erfordernisse seiner Entfaltung als freier Persönlichkeit mit seiner Freiheit und seiner Verantwortung. Es ist bedauerlich, daß in der politischen Diskussion unserer Tage dieses Element von Freiheit und Verantwortung kaum jemals erwähnt wirct. Wohl ist man sich klar darüber, daß es keine Verantwortung gibt, wo die Freiheit fehlt.

Aber es wird auch keine Freiheit geben, wo die Verantwortung nicht getragen wird, wo man allein die Freiheit will und die Verantwortung auf andere, auf den Staat oder auf die Organisation abschiebt. Das Verlangen nach Freiheit ohne das Bewußtsein der Verantwortung ist der Weg zur Herrschaft der Massen.

Darum ist das Schicksal jeder Massenherrschaft, wo sie einmal losbrechen will, die totale Diktatur. Es ist ein Anzeichen tief menschlichen Versagens, eine Ver-krüppelung unseres praktischen sozialen Denkens, die unser soziales Leben zu verzweifelter Impotenz führt, daß wir den Weg von der Freiheit zur sittlichen

Verantwortung nicht mehr gehen und darum den Weg von der Freiheit zur Ordnung und von der Ordnung zur Freiheit nicht mehr finden. Dieses Auseinandertreten von Freiheit und Ordnung in unserem sozialen Bewußtsein ist der Ursprung jener vielen falschen Alternativen, die so oft der letzte Schluß politischer Weisheit zu sein scheinen, jene Alternativen von Planung und Freiheit, von Freiheit und Sicherheit, von Reaktion und Fortschritt und wie sie alle heißen mögen, welche die polltische Diskussion unfruchtbar machen.

Diese ideologischen Alternativen können nicht durch eine äußerliche Vermischung in einem falsch verstandenen „dritten Weg“ überwunden werden. Was wir brauchen, ist die Gewinnung des geistigen Zentrums, des geistigen Lebenszentrums von Ordnung und Freiheit, von dem aus wir die Offensive zur Rettung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Menschenwürde ergreifen können. Äußere Mittel der Politik können wohl Hilfsstellungen zur Sicherung menschenwürdigen Lebens darstellen. Die Menschenwürde selbst aber muß schließlich jeder für sich selbst wahren aus frei übernommener sittlicher Verantwortung. Man braucht gerade in Österreich nicht erst zu beweisen, daß die sozialen Auseinandersetzungen unserer Tage Auseinandersetzungen im geistigen Raum sind und daher auch niemals auf der Ebene der Politik und der Organisation allein bewältigt werden können.

Darum ist es vielleicht auch nicht ganz belanglos und unwichtig, daß das „K a-thotische Sozialwerk für Österreich“ zu einigen Tagen der

Besinnung über unsere soziale Lage und ihrer Probleme aufruft, um den Versuch zu machen, das Wesentliche klarzustellen, und um den Ort zu finden, an dem die Tat ansetzen muß, die uns Hoffnung geben mag zur Rettung der Güter der Menschlichkeit und Freiheit.

Nur einem zeitgemäßen natürlichen sozialen Denken, das den einzelnen Fragen ihre menschlichen Tiefen abgewinnt, wird es möglich sein, jene sozialen Maßnahmen zu erkennen, die zum Ziele des sozialen Friedens führen, der — „pax opus justitiae“ — nur die Frucht der Gerechtigkeit, niemals die Frucht raffinierter Organisationstechnik sein kann. Die soziale Initiative, die sich bisher im wesentlichen in der staatlichen Sozialpolitik geäußert hat, und daher vielfach die Tendenz zu staatlichem Totalitaris-mus förderte, muß weit mehr von der persönlichen Verantwortung und von den sozialen Gruppen der Beteiligten selbst getragen werden. Errungene Freiheiten und errungener Einfluß müssen in dem Bewußtsein erhöhter Verantwortung gegenüber der ganzen sozialen Gemeinschaft ihre Sicherung und ihre Berechtigung finden. Denn eine soziale Friedensordnung, wie sie uns allen am Herzen liegt, liegt nicht in der Verstaatlichung unseres Lebens — das ist die Ruhe des Friedhofs, auf dem die Freiheit begraben liegt. Sie ist auch nicht ein mechanischer Ausgleich antagonistischer Kräfte, nicht ein innerpolitisches „balance of power“ — das ist verdeckter Bürgerkrieg.

Sozialer Friede muß gemeinsames Handeln sein, freie Einigung um gemeinsame soziale Aufgaben.

Hier muß die Besinnung auf natürliches gemeinschaftliches Denken und auf die Erfordernisse der sozialen Ordnung einsetzen, die das antagonistische Denken überwindet, mit dem heute die meisten Menschen an die Fragen des politischen Lebens herangehen. Verstehen wir doch endlich die warnend Sprache unserer Zeit!

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