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Das gefährliche Sommerloch

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Viel belächelt, weit unterschätzt. An den sommerlichen „sauren Gurken“ verderben sich Politiker nur allzu oft den Magen.

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Viel belächelt, weit unterschätzt. An den sommerlichen „sauren Gurken“ verderben sich Politiker nur allzu oft den Magen.

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Bruno Kreisky mochte die Journalisten; anscheinend sogar bis über seinen Tod hinaus. Der Altbundeskanzler verstarb mediengerecht mitten im Hochsommer. Seitenlange Nachrufe, Würdigungen und ein prunkvolles Staatsbegräbnis halfen so den Innenpolitik-Redaktionen über die ereignismageren schwülen Augusttage 1990.

Politische Highlights sind im Sommer rar. Die Großstadt ist ver^ lassen, Parteilokale verwaist, das Parlament von Touristen belagert, die Politiker irgendwo am Swimming-Pool oder am Berg. Nur die Journalisten sitzen in ihren Redaktionen vor leeren Bildschirmen, schlürfen Eistee und grübeln und tüfteln. Irgendwann platzt dann die Bombe, die zunächst freilich noch keine ist.

Das Muster, nach dem ein Thema zum „Sommerthema“ wird, ist jedes Jahr ähnlich: Da ist vielleicht eine alte, längst bekannte Geschichte, die wiederverwertet wird, manchmal ein mehr oder weniger aktueller Rechnungshofbericht, zuweilen aber auch ein Thema, das unterm Jahr einfach keinen interessiert. Aber es ist sonst nicht viel los. Andere Medien hängen sich an die Geschichte dran und blasen solange Luft in den Ballon, bis er platzt. Jetzt steigt das Fernsehen ein und die Affäre, der Skandal ist geboren.

Weinpantscherei, Wackersdorf, Noricum, verdorbene Fleischproben - alles begann als Sommergeschichte und wuchs zum folgenreichen Dauerthema heran.

Wie prominente Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, bringen journalistische saure Gurken manch urlaubenden Politiker weit mehr ins Schwitzen als die Hitze. 1984 bekam Hannes Androsch seine Steueraffaire als mediale Sommerlektüre vorgesetzt, nach einem heißem August 1987 - und der gerichtlichen Zeugenaussage der früheren burgenländischen SPÖ-Politikerin Ottilie Ma- tysek — verschwand der durch die Anti-Waldheim-Kampagne angeschlagene SP-Chef Sinowatz endgültig von der Politbühne.

Der politische Sommer des Jahres 1988 begann mit dem Streit um den Standort des Hrdlicka-Denkmals vor der Wiener Albertina. Von Jahreszeiten unbeeindruckt ist natürlich FPÖ-Chef Jörg Haider jederzeit für Wirbel gut - angesichts des thematischen Vakuums im August 1988 war es keine Überraschung, daß seine Klassifizierung der österreichischen Nation als „ideologische Mißgeburt“ in den „Sommergesprächen“ des ORF-Inlandsreports für wochenlange Aufregungen sorgte.

Der Sommer 1989 verlief - mit der Debatte über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Noricum-Af- faire — relativ ruhig. 1990 stand die Berichterstattung unter dem Eindruck des Todes von Bruno Kreisky.

Der politische Sommer 1991 begann gleich mit mehreren Paukenschlägern Am 21. Juni wird Jörg Haider nach seinem Ausspruch über die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ vom Kärntner Landtag per Mißtrauensantrag abgewählt; am selben Tag gibt Bundespräsident Kurt Waldheim bekannt, auf die Kandidatur für eine weitere Amtsperiode verzichten zu wollen. Nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens kommt es am 28. Juni zu Kampfhandlungen zwischen der slowenischen Terri toriai Verteidigung und der jugoslawischen Volksarmee; am selben Tag wird in Wien Erhard Busek zum Nachfolger von Josef Riegler als OVP-Bundesparteiob- mann gewählt.

Mit persönlichen Konsequenzen waren auch die Sommerdebatten 1993 verbunden: ÖVP-Abgeordneter Paul Burgstaller verabschiedete sich nach der „Lutsch-Affaire“ zunächst aus der ÖVP-Fraktion (und nun aus dem Hohen Haus), während bei der „Grapsch-Affäre“ letztlich das angebliche Opfer, SPÖ-Mandatarin Waltraud Schütz, und nicht Sozial- minister Josef Hesoun seine politische Karriere beenden mußte. Schwere Imageschäden mußte auch Gesundheitsminister Michael Außerwinkler durch den Fleischskandal im Juli einbüßen. Bereits 1992 hatte der jetzige Kärntner SPÖ- Chef mit Gratiskondomen und Anti- Raucher-Kampagne für Sommergesprächsstoff gesorgt.

Thematischer Höhepunkt des letzten Sommers war freilich die Diskussion über eine Verlängerung der Dauer des Zivildienstes.

Aber glücklicherweise können die Medien im Sommer auch auf nichtpolitische Themen ausweichen: einstürzende Brücken, „Ötzi“, Salmonellen oder Ozon.

Die Sommerthemen

der letzten 10 Jahre

1984 Steuerfall Androsch

1985 Weinskandal

1986 Wackersdorf

1987 Affäre Sinowatz-Waldheim

1988 Hrdlicka-Denkmalstreit, Haiders „Mißgeburt“

1989 Noricum-Skandal

1990 Bruno-Kreisky-Tod

1991 EG-Avis, „Ötzi“

1992 Flüchtlinge, Gratiskondome

1993 Fleischskandal, Lutschund Grapsch-Affäre

1994 Rechnungshofausschuß: AMAG, Straßenbau, DDSG, Weinmarketing

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