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Jo van NielancUBraat

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Jo van Nieland-Braat! Wie vertraut klingt dieser Name in der sicher umschlossenen Intimität der niederländischen Wohnzimmer ... Eine Wolke lieber Erinnerungen stieg in mir auf, als ich ihn auf der Vordertür ihrer Wohnung in Bilthoven stehen sah, wo die Verfasserin, weit außer dem Lärm des täglichen Lebens, ihren Lebensabend verbringt. Und sofort in dem einfachen Studierzimmer, in das der Hausdiener mich einließ, sah ich die Bücher schon stehen, diese hübschen, gesunden Mädchenbücher mit diesen reizenden Titeln: „Gisela schafft es“, „Trude hält durch“, „Laura tut den ersten Schrit t“, „Maria beißt sich f e s t“, alle Ganzleinen, 1.75 Gulden, und alle Jugendbücher, die damals ein lange gespürtes Bedürfnis befriedigten, auch hinsichtlich der Verfasserin, denn sie - war bettelarm, als sie anfing.

Sie erzählt dies alles so ganz einfach und schlicht, und es ist kaum zu glauben, daß ich wirklich Jo van Nieland-Braat gegenübersitze und nicht einer ziemlich dicken Dame mit Sommersprossen; aber ich bin es doch bestimmt, versicherte sie mir lächelnd, und ich würde sie gewiß umarmt haben, wäre Herr van Nieland, ihr ganz unauffälliger, ja fast tapsiger Gatte, nicht plötzlich eingetreten und hätte er mich nicht sanft zurückgedrängt.

„Tee?“ fragt die Schriftstellerin, Ja, ja, Tee! Welch ein Genuß ist es, zu sehen, wie dieselbe Hand, aus der „D i e W a I d s c h 1 i n g e 1“ und „Die Bummler“ hervorgekommen sind, jetzt Tee schenkt! Und sie redet nur weiter ... Und während sie redet, ist es, als ändere sich etwas im Zimmer, als breite sich etwas unaussprechlich Feines über die kleinen Möbel aus, der Kuckuck weiß, was es ist, aber ich vermute dasselbe, was auch andere Interviewer bei berühmten Schriftstellerinnen zu bemerken gewohnt sind.

„Mein erstes Buch“, sagt Frau van Nieland-Braat, über meinen Kopf hin in die Ferne schauend, „war .Mieze, die Unzähmbare aus der Oberrealschule III'. Für das reifere Mädchen. Ich war heilfroh, als es erschien.“

„Wir auch, gnädige Frau.“

Frau van Nieland-Braat lächelt und nickt mir zu.

„Darauf folgten in einer schnellen Reihe .Mieze, der Racker aus der Oberrealschule IV, .Mieze, die wilde Hummel aus der Oberrealschule V, und dann wieder .Mieze, die wilde Hummel aus der Oberrealschule V.“

„Mieze hat die letzte Klasse der Oberrealschule doubliert“, verdeutlicht Herr van Nieland.

„Hierauf schrieb ich .Mieze wird ruhiger', ,Mieze bezwungen', .Miezes Mutter' (eine Volksausgabe), .Die Kinder von Mieze', ,Die Kinder von Mieze werden ruhiger', ,Die Kinder von Mieze

„Du vergißt ,Die Kinder von Mieze bezwungen', Liebling“, bemerkt Herr van Nieland.

„Mein Mann“, sagt Frau van Nieland-Braat lächelnd, „hat all meine Bücher in seinem Kopf.“

Ich warf dem Beneidenswerten einen eifersüchtigen Blick zu. Man konnte es ihm ansehen.

„Darauf folgten die Familienromane: ,D i e Pinkertönnchen', .DieRabenstein-c h e n' I und II, ,Die Sechs von Mutter T i j n a g e 1' und all die anderen. Die Lücke in der Mädchcnwelt war damit angefüllt; ich richtete den Blick auf den Norden.“

„Auf den Norden, gnädige Frau?“

„Auf den Norden. Ich machte Bekanntschaft mit den Trilogieverfassern Knut Knutson, Olav Gulbrand-Olavson, Sigrid Ingridstochter und all den anderen. Eine neue Welt ging mir auf: die Welt der Trilogien.“

.„In Ganzleinen 12.50 Gulden“, murmelte Herr van Nieland träumerisch.

„Ich fuhr nach Skandinavien und wohnte sieben Monate am Norskaldfjord. Dort, in unmittelbarer Fühlung mit der erhabenen Natur, entstanden meine bekannten Norskaldtrilogien .Winde nähern sich', .Winde ziehen vorbei' und .Winde sehen dich a n', in denen die nordische Volksseele gleichsam aus den Buchseiten emporschreit. Aber ich wollte noch höher greifen.“

„Immer nur höher“, sagte Herr van Nieland, den Ofen ein wenig sparsamer einstellend.

„Ich zog mich auf zwei Wochen in dem Gebirge zurück und schrieb meine bekannte Schicksalsserie. Sie kennen sie doch?“

„Aber, gnädige Frau!“

„Richtig. Beim Rauschen eines Wasserfalls schrieb ich nur weiter, und als es fertig war, siedelten wir sofort von der zweiten Heimerstraße nach Bilthoven über und löste mein Mann sich von der Marine.“

„Sie wohnen hier wirklich reizend“, sagte ich, einen Blick zum Fenster hinauswerfend.

„Ja“, sagt Frau van Nieland-Braat, „und Sie werden es nicht glauben, aber das verdanken wir besonders einer Idee meines Mannes.“

Herr van Nieland hielt den Blick bescheiden auf das Parkett geheftet.

„Hat Ihr Mann auch Ideen, gnädige Frau?“ fragte ich erstaunt

„Und w e 1 c h e“, sagt Frau Jo van Nieland-Braat, „er kam auf die Idee, die holländische Atmosphäre in nordischen Trilogien zu verarbeiten. So entstanden ,Knut Lavrans-sohn kommt durch', .Sigrid Selma-tochter schafft es' und ,B a 1 d u r Harold Sigurd Knutssohn beißt sich fest'. Auch den leichteren Familienroman ,Die Lavrans Lavranchen auf Reisen' muß man von diesem Gesichtspunkt aus betrachten.“

„Ein erhabener Gedanke“, murmelte ich.

„Und nicht nur das“, sagt Herr van Nieland, verschmitzt auf die Hintertasche klopfend.

„Ihr Mann ist ein Schelm, gnädige Frau. Und was sind Ihre weiteren Pläne?“

„Keine. Wir hatten gestern eine Unterredung mit dem Bankier, der unsere Interessen vertritt, und wir kamen zu dem Schluß, daß der Bedarf an dieser Literatur gedeckt ist.“

„Also Sie hören damit auf?“

„Gewiß.“

„Gnädige Frau!“

„Unwiderruflich.“

„Aber die nordische ...“

„Soll ein anderer anbeißen. Wir haben es geschafft.“

(Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens)

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