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Die berUhmte Frau

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Wir standen zu achtzig Mann im strömenden Regen auf dem Flugplatz „Schiphol“. Die berühmte Frau kam immer überall zu spät, das wußten wir, es war eines ihrer scharmanten Kennzeichen. Als sie drei volle Stunden zu spät in einer Wolke von Spitzen aus der geschmackvollen Maschine stieg, konnte man eine Stecknadel auf dem Flugfeld fallen hören. Sie war reizend. Der schlanke Hals, auf dem ein koketter Kopf uns freundlich anlächelte, kam aus einem einfach plissierten Mieder, die mit Sorgfalt gewählten Beine dagegen aus einem einfachen plissierten Rock. Um ihre Mitte trug sie einen feineingefühlten Einsatz, in dem ein schlichter Brillant möglichst unauffällig zu sagen schien: Hier bin ich. Als sie einige Schritte auf uns zu machte und einfach, wie jede Frau tun würde, einen kleinen raffinierten Regenschirm aufspannte, brach unser letzter Widerstand. Manche von uns verließen weinend den Platz. Andere begannen ganz sinnlos zu lachen. Frau Slavatsky aber blieb reizend. Endlich stammelte einer von uns:

„Und was, gnädige Frau, halten Sie von Holland?“

„Ich bin sehr froh, in Olland zu sein“, antwortete Frau Slavatsky (Frau S. kann, wie sie in ihren Memoiren auch offenherzig zugibt, das „h“ nicht aussprechen. Es war entzückend).

„Ihr abt viel gelitten“, fuhr Frau Slavatsky fort, ohne unsere folgende Frage abzuwarten, „aber nach Regen kommt Sonnenschein.“ (Du liebe Zeit, welch eine einfache Weisheit in solch einer zarten Erscheinung. Und das eben jetzt sagen, jetzt, da es goß.) „Olland ist ein sehr nettes Land“, verfolgte Frau Slavatsky, bevor wir zu Atem gekommen waren, „ich liebe Olland sehr. Aber was den Olländern fehlt, ist dieses.“ Sie machte zwei schnelle Schritte, die alles übertrafen, was wir auf diesem Gebiete gesehen hatten.

„Lebensrhythmus“, erklärte sie.

Auf einmal sahen wir. an was es uns mangelte. Das war es. Einer von uns versuchte, ei ihr nachzutun, fiel aber weinend in den Kot.

„Wie leben Sie, gnädige Frau? Ihre Tageseinteilung? Ihre Arbeitsweise? Ihr — es ist egal was, wenn Sie es nur sagen.“

„Morgens“, antwortete Frau Slavatsky, mit reizender Schlichtheit umherschauend, „stehe ich einfach auf, genau so wie die Frauen in Olland. CHier mußte man einen von uns unterstützen, es war dem Manne zuviel geworden.) Dann frühstücke ich, drei kleine Brotschnitte mit Karneichen und einen Ering. Manchmal trinke ich eine Tasse Tee dazu. Aber dieses letzte nicht immer, also skreiben Sie das nicht hinzu.“

„Und Sie sitzen dann hinter einem gewöhnlichen, kleinen Teller, an einem gewöhnlichen Tisch?“

„Immer“, sagte Frau Slavatsky.

Wir standen wie angewurzelt.

„Dann sage ich zu einem meiner Mädchen, was zu tun ist. Staub wischen oder Kemüse kaufen oder irgendwo Schlange stehen. Kurz, was eine gewöhnliche Frau in der Haushalt so zu- tun at.“

„Wir dürfen dieses nicht annehmen, gnädige Frau, Sie halten uns zum Narren.“

„Ich alte nie einen zum Narren. (Wir vergaßen, noch zu erwähnen, daß Frau Slavatsky auch manchmal das „g“ nicht aussprechen kann, wie sie neuerdings in einer Pressekonferenz offen gestand.) Sie können mich ruhig klauben.“

„Wir glauben Sie, gnädige Frau. Und jetzt Ihre Pläne, gnädige Frau, Ihre Pläne für Holland, gnädige Frau.“

„Ich bleibe ier nur drei Take. In dieser Zeit will ich die Probleme, worunter dieses Folk gebückt keht, völlig kennenlernen. Denn ich liebe Olland sehr.“

„Sie sind zu gut, gnädige Frau. Und wie stellen Sie sich vor, dieses zu tun?“

„Zuerst will ich mir die die Naktwake an-sehen im Rijksmuseum. Dann die Blumenzwiebelfelder und dann nok etwas, das ich jetzt verkessen abe, aber das mir kleich wohl wieder einfallen wird.“

Frau Slavatsky schien auch nicht imstande zu sein, das „ch“ auszusprechen. Es fiel uns übrigens auf, daß sie immer weniger schien sagen zu können, je länger das Gespräch dauerte.

„Und dann, gnädige Frau, und dann?“

„Dann verlasse ich meine lieben Freunde rn Olland.“

„Aber wir, gnädige Frau, wie müssen w i i weiterleben?“

Frau Slavatsky lachte kurz dieses hohe, girrende Lachen, womit sie Millionen verdient. In einer Weise, die unmöglich in schwerfälligen, niederländischen Worten auszudrücken ist, knifl sie einen von uns in die Backe (der Kerl fiel wie ein Block um), hüpfte in die bereitstehende Limousine und glitt in einem entzückenden Rhythmus in die Kurve.

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens

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