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Kein Dorado für Vereinsmeier

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Österreichs Vereinsleben liegt im argen. Nicht seit gestern, nicht seit heute, sondern schon seit geraumer Zeit. Betroffen von dieser Entwicklung sind die kleinen und kleinsten Zusammenschlüsse, ebenso wie die großen Verbände mit gesellschaftlicher oder politischer Bedeutung.

Die verzweifelte Suche nach neuen, impulsträchtigen Orientierungen und Wesensinhalten, die mehr oder minder geglückten Reformexperimente, erwiesen sich, in Summe gesehen, als Schlag ins Wasser. Denn die Masse der Mitglieder reagierte darauf überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die Klagerufe über den immer schwächer werdenden Besuch von Veranstaltungen aller Art werden zunehmend lauter. Und während die Bitten nach verstärkter Teilnahme in den verschiedensten Nachrichtenblättern an Intensität zunehmen, gähnen die Vereinslokale ins Leere. Nicht selten stellen die Veranstalter selbst zugleich das Gros der Besucher. Die — zumeist gewählten Vorstände bleiben fast unter sich. Selbst Drohungen der solcherart ins Ghetto geratenen Funktionäre, man werde zusperren, vermögen die Gefolgschaft, die längst keine mehr ist, keineswegs zu Aktivitäten aufzustacheln. Längst sagen Mitgliederzahlen über die Bedeutung einer Organisation nichts mehr aus. Denn mit dem Mitgliedsbuch hält der Österreicher seinem Verein, seinem Verband — zumindest heute noch — die Treue: Er tritt nicht aus, er bleibt bloß daheim ...!

Gerade das krasse Uberwiegen der Karteileichen ist es, das dem schmalbrüstigen Häuflein der Organisationstreuen die zunehmende Existenzangst verschafft. In einer ganzen Reihe von Organisationen tobt heute ein erbitterter Kampf um den Weg, der aus dem Dilemma herausführen soll. Dabei stehen sich zumeist zwei Lager kräftegleich gegenüber und verhindern solcherart sinnvolle Reformen. Auf der einen Seite ist es ein konservativer Flügel, der für ein Festhalten an den ursprünglichen Formen plädiert und die Schuld am Verfall den Experimentiergelüsten der anderen Gruppe zuschiebt, während auf der anderen Seite zumeist eine jüngere Reformgruppe radikal mit dem „alten Plunder“ aufräumen möchte, ohne freilich überzeugende Alternativen offerieren zu können.

Dabei fehlt es nicht an deutlichen Anzeichen, wo die eigentlichen Ursachen zu suchen siind. So macht sich das Unbehagen in den großen Organisationen, etwa den Gewerkschaften, den politischen Parteien, den Inter-essenverbänden und den konfessionellen Zusammenschlüssen in nahezu gleichlautenden Vorwürfen bemerkbar, gleichgültig, welcher weltanschaulichen Richtung sie auch immer zuzuordnen sind. Wird hier der Führungselite vorgehalten, sie schwebe realitätsgelöst und ohne Bindung zum Fußvolk in den Wolken, so kontern diese Kreise mit dem Hinweis auf die unleugbare Tatsache, daß der mittlere Funktionärskader die Dinge treiben ließe, nicht mitgehe und der Transmissionsaufgabe zwischen oberster Führung und dem einfachen Mitglied völlig unzulänglich nachkomme. Der kleine Gewerkschaftler, das einfache Parteimitglied ist indessen überzeugt, daß die kleineren Funktionäre „oben“ sowieso nichts zu reden hätten, es daher müßig sei, ihnen zuzuhören. Und solcherart fühlt sich jeder von jedem verlassen. Indessen lassen sich diese offenkundigen Kommunikationsmängel durch wechselseitige Beschuldigungen kaum aus der Welt schaffen. Die Grundsatzdiskussion rund um den Gewerkschaftsbund — ausgelöst durch den Olah-Prozeß — hat nicht nur die Wurzel des Mißtrauens wieder einmal deutlich ans Licht gezerrt, sondern auch gezeigt, wo der Hebel zur Bewältigung der Strukturkrise anzusetzen wäre: Das einfache Mitglied verlangt heute echte Mitbestimmung, gibt sich mit pseudodemokratischen Strukturen, hinter denen sich in Wahrheit autoritär geführte Institutionen verbergen, nicht mehr zufrieden und drängt daher auf direkten Einfluß auch hinsichtlich der Besetzung von Spitzenpositionen wie der für die Gesamtorganisation maßgeblichen Willens-entscheldungen.

Vor allem auch die katholischen Gemeinschaften, die Pfarrgruppen und KA-Gliederungen sind in der Krise.

Selbst Dachorganisationen, in denen katholische Verbände mit ein paar hunderttausend eingeschriebenen Mitgliedern zusammengeschlossen sind, preisen sich glücklich, bei einer Spitzendiskussion über ein hochaktuelles, allgemein interessierendes Thema einen sechzig Personen fassenden Saal gefüllt zu haben. So geschehen erst vor wenigen Wochen, als sich der Inzwischen aus dem Amt geschiedene Unterrtchtsminister Dr. Piffl-Percevic vor katholischen Organisationen seinen Gegnern in einer übrigens äußerst spannend und temperamentvoll verlaufenen Forumsdiskussion stellte. Wenig später erlebte die gleiche Gruppe bei einer Patronanizveranstaltung mit einem Dutzend Besucher ein Debakel, dessen besondere Pikanterie darin bestand, daß die als Schirmherr fungierende, Tausende von Mitgliedern zählende Organisation mit einem einzigen Mann vertreten war. Die größte Sorge freilich betrifft den Nachwuchs. Vielen der Organisationen geliiingt es heute kaum mehr, neues Blut in die verkalkten Kanäle des Vereinslebens zu pumpen. Das hat seine Ursachen sowohl im Erlahmen der Aktivitäten als auch im qualitativen Verfall der Führungskräfte, die, selbst im Vereinsleben verbraucht und an der Existenzberechtigung der Organisation zweifelnd, kaum die Kraft aufbringen können, jungen Menschen Sinn, Zweck und Vorteil einer Mitgliedschaft glaubhaft zu machen. So sprechen Psychologen vom Verlust des Statuswertes, den Mitgliedschaften einst besaßen. Österreich ist kein Dorado für Vereinsmeier mehr.

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