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Weltgeschichte und Propaganda

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Die erste Frage, die sich der Leser beim Anblick des Buchtitels stellt, lautet: Warum 3000 Jahre Propaganda? Wo macht der Autor den Anfang, und warum? Nun — der Autor hat seinen Anfangspunkt sehr richtig gewählt. Sobald mit der Geburt des griechischen Denkens die Selbsterkenntnis, die Selbstbetrachtung des Menschen eine ganz neue Gestalt bekommt, ist auch das bewußte, absichtliche Ueberzeugen des Zuhörers etwas ganz Neues geworden. Mit Recht beginnt somit der Autor seine Darstellung mit dem politischen Geistesleben der griechischen Städte.

Das Thema muß natürlich einen jeden heutigen Leser fesseln. Propaganda! Die bewußte, systematische, gelenkte Einwirkung auf das Denken des anderen — oder vielmehr auf das Denken der Massen — ist zu einer entscheidenden Kraft des heutigen Menschenlebens geworden. „Die Politik ist heute das Schicksal“, sagte schon Napoleon I., und in der Politik spielt die Propaganda scheinbar die Hauptrolle. Warum? Auch das ist klar. Der heutige Staat ist allmächtig — er kann also jeden Untertan erfassen. Und er muß es auch tun; denn der moderne Staat ist grundsätzlich demokratisch, er ist abhängig vom politischen Willen der Untertanen. Soll eine Regierung also Bestand haben, dann muß sie die Untertanen dazu bringen, diese Regierung zu wollen — oder aber sie für unvermeidlich zu halten. Dies sind die gegebenen Kräfte der Jetztzeit; und das große Problem für den Gesetzgeber besteht darin, es dennoch zu erreichen, daß der Untertan nicht zum hilflosen Konsumenten staatlichen Gedankengutes, sondern zum denkenden Mitglied des Staates, zum Bürger werden kann. Mit all diesen Fragen sind wir nur zu gut bekannt; und jeder wird es dem Autor danken, der politischen Propaganda seine große Arbeit gewidmet zu haben.

Es versteht sich, daß ein so grenzenloses Feld nicht systematisch, gleichmäßig durchgeackert werden kann. Eine Darstellung der gesamten politischen Propaganda würde so viele Bände ergeben, daß damit eine ganze Bibliothek angefüllt werden könnte. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, daß der Autor nach eigenem Ermessen gewisse Zeitabschnitte und Persönlichkeiten der Geschichte herausgegriffen und einprägsam geschildert hat, um damit gleichsam die | verschJelenen Archetypen“ der Propaganda . darzustellen. Seinen Text hat 'er außerdem mit besonders interessanten Bildern kombiniert, die eine wertvolle Bereicherung seiner Darstellung bilden. Reichliche Literaturangaben machen das Buch überdies direkt zum Studienbehelf und geben allen jenen, die sich mit einzelnen Fragen der politischen Propaganda noch näher befassen wollen, die Möglichkeit, weiteren Stoff leicht zu finden.

Es wäre sinnlos, mit dem Autor über die Wahl des Stoffes und gar der Bilder rechten zu wollen. In der Auswahl, wo, Auswahl nötig ist. muß ein Historiker frei sein. Und man wird es dem Autor nicht bestreiten können, daß er aus dem uferlosen Stoff der politischen Propajanda die hochinteressantesten und politisch wichtigsten Themen ausgewählt hat. Es gehört aber zu den undankbaren Aufgaben eines Rezensenten, um seine Kritik nicht langweilig werden zu lassen, nicht nur Lob zu spenden, sondern vor allen Dingen auch auf Lücken hinzuweisen, die einem zu rezensierenden Werk anhaften. Zwei solche Lücken möchte der Rezensent hier erwähnen, in der Hoffnung, daß der Autor seinen Hinweis in der sicher zu erwartenden Neuauflage berücksichtigen wird.

So möchte man erstens etwas über Kaiser Franz, den Schwiegervater und Gegenspieler Napoleons, lesen als Propagandaleiter. Wenn nämlich Napoleon weder eine ungarische Legion bilden konnte, wie Bismarck, noch eine böhmische, wie Poincare, dann lag dies nicht nur an dem Charakter der gutmütigen Völker oder an der Wachsamkeit der Polizei. Nein, es lag auch an der Art, wie Kaiser Franz im rechten Augenblick „Carissimi Hungari“ oder „My v Cechach“ zu sagen wußte. Hätte sein Enkel denselben Sinn für Propaganda gehabt wie Kaiser Franz — oder Etzherzog Friedrich denselben wie Erzherzog Karl. .. wer weiß! Zweitens wäre es zu begrüßen, wenn in einer Neuauflage auch Wilhelm Busch vorkommen könnte. Manchem Leser wird dieser Gedanke wahrscheinlich blasphemisch vorkommen. Aber Wilhelm Busch war ein großartiger Propagandist für Bismarcks Reich und die nationalliberale Ideologie. Wir meinen hier nicht seine so öden, aber zeitgeschichtlich bedeutsamen antiklerikalen Gemeinheiten der „Frommen Helene“. Wir meinen vielmehr das anti-welfische Pamphlet „Die Partikularisten“. Wenn wir uns fragen, wer das politische Denken und Fühlen in Deutschland so verstümmelt hat, daß unendlich Schreckliches möglich war, wenn wir fragen, wie das möglich wurde in einem Land, dem nicht gerade Grausamkeit und Treulosigkeit, sondern Ritterlichkeit angeboren war, dann haben wir hier die Antwort. Im Auftrage Bismarcks wurde durch Wilhelm Busch der Begriff Treue systematisch als dumm und lächerlich, der im tapferen Kampf Unterlegene als natürlicher Gegenstand unflätiger Verspottung dargestellt. Wir müssen es nachdrücklichst aussprechen: Weil die Weifen, eines der erlauchtesten Fürstenhäuser Deutschlands. 1866 dem Deutscher Fund die Treue wahrten und weil die Niedersachsen nachher den Weifen die Treue hielten, hat sie Wilhelm Busch mit Hohn und Spott Übergossen. Von da ist nur ein stufenweiser Abstieg zu der Mentalität eines Roland Freister mit seinem, sagen wir „Galgenhumor“, und zu dem „Strafsport“ jüdischer Häftlinge. Der Geist ist derselbe: die Verspottung des Wehrlosen — und das in der Sprache, in der die Minnesänger die frauliche Schwäche und die ritterliche Treue besungen hatten. Wenn man über Propaganda schreibt, soll man auch nicht verschweigen, was Bismarck angestiftet hat. Aber dies waren nur zwei kleine Hinweise innerhalb eines gigantischen Stoffes, den der Autor ausgezeichnet dargestellt hat.

Bevor aber der Rezensent das Buch aus der Hand legt, möchte er noch auf einige besonders wichtige Kapitel des Buches hinweisen. Der Autor beginnt

aus jenen guten Gründen, die wir schon nannten, seine eigentliche Betrachtung mit den griechischen Stadtstaaten. Er behandelt aber auch die orientalischen Monarchien Aegypten, Mesopotamien und Persien. Selbstverständlich wird Rom und seiner Propaganda ein weiterer Abschnitt eingeräumt. Dem Theater als Propagandamittel wird ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet wie der Propaganda durch Briefmarken, Spiel- und Ansichtskarten oder durch Kleider, Lieder und Flugschriften. Ausgezeichnet das Kapitel über die Propaganda für und gegen Napoleon, mit den guten Untertiteln „Die Schlacht der großen Worte“, „Kunst und Kitsch“, „Karikaturen statt Kanonen“. Hervorzuheben wäre auch das Kapitel über die gewaltlose Propaganda Gandhis gegen England. Er beschließt sein Buch mit der neuen Weltherrschaft und ihrem Reichsglauben, dem dialektischen Materialismus. Ein lehrreiches Buch, dessen Lektüre nicht nur viele interessieren wird, sondern das auch viele unentbehrlich finden werden.

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