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Kritik, die zu denken gibt

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Prof. Dr. Anton Burghardt hat uns in der „Furche“ vom 4. April eine ernste Gewissenserforschung beschert. Im Artikel „Die Verwaisten, Gedanken zur christlichen Arbeiterbewegung von heute“, hat er vielen Lesern aus der Seele gesprochen. Was Professor Burghardt im Zusammenhang mit dem Heimgang unseres lieben Vaters Kunschak hier zum Gegenstand einer tiefdringenden Gedankenlese macht, wird im Kreise von Erfahrenen der älteren Generation oft mit großer Sorge behandelt. Mit Kunschaks Tod wurde erst recht die Krisis offenbar, in die die christliche Arbeiterbewegung nach dem grandiosen Aufstieg, nicht erst heute, sondern bereits seit zwanzig Jahren unter mehrfachem und oft feierlichem Protest des Verewigten und seiner damaligen Getreuen hineingeschlittert ist. Was Anlaß zur herben Kritik bietet, sind die Folgen und Fehler, die sich aus der Entwicklung dieser letzten zwanzig Jahre ergeben.

Die Spannungen und die Unsicherheit, die der großen Katastrophe der nationalsozialistischen Revolution von 1938 vorausgingen, haben bereits Jahre vorher das Leben der Bewegung störend beeinflußt und schließlich Experimente ausgelöst, die den demokratischen Charakter der Bewegung schwer gefährdeten. Die Okkupation Oesterreichs durch Hitler-Deutschland hat schließlich alles in Trümmer geschlagen, so daß 1945 frisch angefangen werden mußte.

Tragisch ist die Tatsache, daß die Chancen, die sich 1945 boten, nicht genützt wurden, einer christlichen Arbeiterbewegung die Bahn freizugeben, auch unter neuen Zeitverhältnissen Anschluß an die klassische Bewegung von 1891 zu finden. Es hat warnende Stimmen genug gegeben, die aber kein Gehör fanden. Es wurde alles, wie im Artikel richtig bemerkt, von „oben“ geschaffen und mit hoheitlichem Charakter ausgestattet, Methoden, die sehr stark an die autoritäre VF-Zeit erinnern. So erstand ein Bund als Sektion einer politischen Partei, der in Stadt und Land den Boden unter den Füßen verlor, und heute, wie Prof. Burghardt richtig feststellt, in seiner Kernschicht eine Interessenvertretung von Angestellten des öffentlichen Dienstes ist. Von einer weltanschaulichen Grundhaltung, die einstmals die christliche Arbeiterbewegung beherrschte, gibt es nur noch spärliche Spuren. Die junge Generation weiß nichts mehr von den tragenden Ideen einer christlichen Sozialreform und verlor so den Zusammenhang von katholischer Soziallehre und politisch-sozialer Aktion, als eine der wichtigsten Erfordernisse im Kampf für ideelle Werte. Aus dieser Entwicklung heraus blieb auch zwangsläufig der Bewegung die Heranbildung einer von Idealen erfüllten Führerschicht versagt. Es trägt übrigens auch der Einheitspferch in den Gewerkschaften und in der Organisation der Urlaubs- und Freizeitgestaltung seinen Teil dazu bei, eine eigene christliche Arbeiterbewegung als „Luxus“ erscheinen zu lassen.

Soll Kunschaks Beispiel wieder wirksam werden, bedarf es der beschwingten und mitreißenden Kraft des Kampfes um höhere Ideale. Träger eines solchen Kampfes kann nur eine demokratische Bewegung der Werktätigen selber sein, für die die christliche Sozialreform im Geiste der katholischen Soziallehre die Seele und das treibende Lebenselement bildet.

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