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14 Thesen zur Krise

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Wirtschaftliche Krisen kommen und gehen. Es scheint mir aber schwer vorstellbar, daß der Kern unserer heutigen wirtschaftlichen Probleme in der heutigen politischen Struktur der Welt gelöst werden kann.

Ich gebe hier die Resultate meiner Überlegungen in der Form von fünf Thesen, jeweils mit kurzem Kommentar.

1. Die heutige Kultur wächst in eine unbekannte und vermutlich instabile Zukunft hinein.

Das Schlüsselwort dieser These ist „wachsen“. Wir sprechen vom

Wachstum der Wirtschaft, der Bevölkerung, der Rüstungen. Ökonomen und Politiker halten Wirtschaftswachstum für gut und notwendig, Ökologen halten es für bedrohlich. Wachstum der ei-genen Rüstung halten die meisten Regierungen für nötig; das internationale Ergebnis dieser Bemühungen wird unter dem Namen Rüstungswettlauf verurteilt...

2. Das Bevölkerungswachstum hat bisher nur durch wirtschaftlichen Wohlstand verlangsamt werden können.

Nur die reichen Nationen haben bisher ihr Wachstum verlangsamen können. In allen traditionellen armen Gesellschaften ist es ein Vorteil für jede Familie, viele Kinder zu haben.

3. Die Umweltbedingungen dürften uns schwerlich mehr als noch wenige Jahrzehnte des Wirtschaftswachstums in bisheriger Form gestatten.

Die Argumente des Klubs von Rom waren teilweise irrig. Aber seine simplen Modelle zeigten doch, daß die vom Menschen erzeugten Veränderungen in unserer Umwelt jetzt der Größenordnung der natürlichen Faktoren nahekommen. Also hängt das Gleichgewicht der Natur jetzt von der Gnade menschlicher Entscheidungen ab.

4. Die Vorbedingungen einer stabilen Wirtschaft sind heute international nicht gegeben.

Persönlich traue ich dem Markt mehr wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu als allen sozialistischen Systemen. Aber auch nach Adam Smith braucht der Markt den Staat für drei Aufgaben: für den Schutz des Friedens, für die Garantie der Rechtsordnung, für nicht-gewinnbringende Unternehmen. Im heutigen Weltmarkt bedeutet Friedensschutz nicht nur eine nationale Armee, sondern ein internationales Friedenssystem; die Rechtsordnung muß international durchsetzbar sein; nicht-gewinnbringende Unternehmen bedeuten sowohl Infrastruktur wie Umweltschutz. Wer garantiert all dies heute?

5. Eine politische Weltordnung mit durchsetzbaren Regeln und

Entscheidungen ist eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Vorbedingung einer stabilen Weltwirtschaft.

Die Macht, eine solche Ordnung durchzusetzen, liegt heute nur bei den Vereinigten Staaten von Amerika in Kooperation mit Westeuropa und Japan. Aber sie würde den Konsens einer relevanten Mehrheit der Dritten Welt und die Duldung der sozialistischen Staaten verlangen. Eine weltpolitische Aufgabe. Wer löst sie?

Ein Weltkrieg noch in diesem Jahrhundert ist sehr wohl möglich. Ich gebe hier die Begründung in neun weiteren Thesen, von 6. bis 14. weiternumeriert.

6. In allen Hochkulturen hat es Kriege gegeben. Wir haben die Kriegsursachen nicht überwunden.

Der Machtkonflikt ist eine hinreichende Erklärung der Kriege. Der größte heutige Machtkonflikt ist derjenige der beiden Supermächte. Kann die nukleare Abschreckung ihren Krieg permanent verhindern?

7. Das Konfliktpotential in der Dritten Welt wird eher zu- als abnehmen.

Die ungelösten Probleme der Weltwirtschaft erzeugen einerseits wachsende Armut auf dem Land und in städtischen Slums und lassen andererseits eine neue Klasse von Menschen entstehen, die hinreichend ernährt und ausgebildet sind, um aus ihnen sowohl neue Technokraten wie eine Elite von Revolutionären zu rekrutieren.

8. Die zwei Supermächte sind objektiv in einem Hegemoniekonflikt gefangen.

Hegemoniekonflikte sind so alt wie die Existenz verschiedener organisierter politischer Einheiten in einer Kultur. Meist sehen beide Gegner in einem solchen Konflikt die eigene Rolle subjektiv ehrlich als defensiv. Der andere ist immer der Angreifer.

9. Das sowjetische Imperium ist heute eine Gefahr für die Welt: durch seine Kombination militärischer Stärke, politischer Unbeweglichkeit und ökonomischer, demographischer und ideologischer Schwäche.

10. Die gegenwärtige amerikanische Reaktion auf die sowjetische Drohung erhöht die Gefahr.

11. Die nukleare Abschreckung hat uns nur eine Atempause gewährt. Friede kann permanent nicht technisch, sondern nur politisch stabilisiert werden.

12. Wir können einen Kriegsbeginn durch technisches Versagen nicht völlig ausschließen.

13. Kleinere Atomwaffen für speziellen Einsatz werden ständig weiterentwickelt. Es ist wahrscheinlich, daß sie eines Tages benützt werden. Ich folgere daraus:

14. Ein nuklearer Weltkrieg in unserem Jahrhundert ist möglich, ja wahrscheinlich.

Gekürzter Auszug aus einem Vortrag des deutschen Physikers und Philosophen vor dem „Club pro Wien“ am 17. November 1983.

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