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Auf die Probe gestellt

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An diesem Freitag könnte die SPÖ beweisen, wie ernst es ihr ist mit der Versicherung, daß Kirche und Sozialdemokratie als gestaltende Kräfte des Landes aufeinander angewiesen seien. Nach einem halben Jahr der Beratungen, nach einem halben Dutzend Hearings führender Wissenschaftler und sonstiger Fachleute, legt der Unterausschuß zur Behandlung des Volksbegehrens zum Schutz des Lebens seinen Zwischenbericht vor. Wie das Gesetz es befiehlt, denn von einem Abschluß seiner Arbeiten, von einer Berücksichtigung des hier demonstrierten Willens einer immerhin ganz erklecklichen Wählerschaft - weit mehr als bei den bisherigen Volksbegehren, die längst ihren Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden haben - ist noch lange keine Rede.

Davon wird wohl auch weiterhin keine Rede sein, obwohl die Praxis der beiden ersten Jahre praktizierter Abtreibungsliberalisierung sehr deutlich gezeigt hat, wie sehr sie von den Zielvorstellungen der Reformbefürworter abweicht. Weder wurde die Dunkelziffer wesentlich beeinflußt, noch die „Gleichheit“ zwischen armen und reichen Patientinnen hergestellt. Was weggefallen ist, ist das Risiko des Arztes, den Eingriff verbotenerweise durchführen zu sollen. Aufgblüht sind die Praxen jener Ärzte, die zahlungskräftigen Kundinnen nun risikolos beistehen können.

Aber auch nach zwei Jahren der „Erprobung“ weiß man nicht, wie viele Fälle nun tatsächlich „behandelt“ werden, wie sich die Klientel zusammensetzt, aus welchen Motiven die Frauen kommen. Man weiß nicht, wie viele zum zweiten-, zum drittenmal abtreiben lassen. Man weiß nicht, wie viele Frauen schon jetzt unter den Folgen einer Abtreibung zu leiden haben. Man kann noch gar nicht wissen, wie viele es später einmal schwer bereuen werden, wenn sie ein Kind haben wollen, aber es ihnen verwehrt bleibt, weil sie es früher einmal „fortgeschickt“ haben.

Die plötzliche Entdeckung so vieler gemeinsamer Anliegen von Kirche und Sozialdemokratie sollte doch eine Einigung in einem der wenigen Punkte erleichtern, in dem sich die Geister scheiden. Wenn es den Entdeckern ernst ist, dann sollten sie es beweisen - dort, wo ihre Glaubwürdigkeit echt auf die Probe gestellt wird.

Der Appell an die Katholiken in der SPÖ, sich für die Berücksichtigung der grundlegenden Aussagen der Kirche in ihrer Partei einzusetzen, ist ergangen. Nur dann, wenn ihnen auch ein positives Echo in ihrer Partei zuteil wird, kann daran geglaubt werden, daß man sie von oben her höher einschätzt, denn als „nützliche Idioten“.

Der Appell an sozialistische Katholiken, sich auch in kirchlichen Gremien zu betätigen, wird nur dann zum Erfolg führen können, wenn sie dort nicht als Fünfte Kolonne kirchenfeindlicher Tendenzen betrachtet werden müssen. Oder hat diese Anregung viel mehr den Sinn, daß die Kirche von unten her unterwandert und von innen heraus ausgehöhlt werden soll, um damit jeden Widerstand -nicht nur gegen die Abtreibung - obsolet werden zu lassen?

Der Grundsatz vom Schutz des Lebens von der Empfängnis an ist eben unabdingbar für den gläubigen Christen. Uber Strafbestimmungen, über flankierende Maßnahmen kann man reden - wenn der Grundsatz außer Streit steht. Aber nur dann.

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