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Die Unruhe der Studenten

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Die Hochschulen stehen vor einem neuen Problem. Im Grunde aber ist es nicht ihr Problem, sondern ein Problem der Gesellschaft. Eine „neue Linke“ meldet sich zu Wort. Bis vor einigen Monaten konnte man meinen, es handle sich um ein Problem,

dem die besonderen Verhältnisse Berlins zugrunde liegen. Dann zeigte sich aber, daß unter Frankfurter und Hamburger Studenten nicht weniger Unruhe aufbricht. Nun wissen wir, daß die Auseinandersetzung mit der „neuen Linken“ auch in Österreich, vor allem an der Universität Wien, beginnt.

Keine Etikettierung!

Es wäre leichtfertig und gefährlich, diese Auseinandersetzung nicht ernst zu nehmen. Man möge sich vor allem nicht damit beruhigen, daß bei Hochschülerschaftswahlen gemäßigte, insbesondere bürgerliche Studentengruppen gut abzuschneiden pflegen. Durch beharrliche Präsenz bei der Auseinandersetzung auf Hochschulboden und durch Leidenschaftlichkeit des Einsatzes gleicht die „neue Linke“ schon jetzt aus, was ihr an Anhängerzahl fehlt. Es wäre auch viel zu billig, wollte man sich dabei beruhigen, daß die Studenten, die heute zur „neuen Linken“ gehören, dann einmal, wenn sie als absolvierte Akademiker in entsprechende Positionen gelangen, über die Gesellschaft, in der wir leben, freundlicher urteilen werden als jetzt. Zum einen kann es nicht als ausgemacht gelten, daß diese heute noch oft zu beobachtende Wandlung der Einstellung gegenüber der Gesellschaft auch in Zukunft eintreten wird. Zum anderen aber ist sicher, daß jedes Jahr neue Studenten an die Hochschulen bringen wird, von denen wir annehmen müssen, daß sie bereit sind, noch radikalere Fragen zu stellen. Es ist also geboten, sich auseinanderzusetzen, solange es noch eine Chance der Verständigung, des Verstehens gibt; nur diese Chance macht Überzeugung möglich. Der Fehler, eine neue

Generation nicht ernst zu nehmen, ist schon zu oft begangen worden.

Wer sich mit einer neuen Generation auseinandersetzen will, muß zuerst einmal darauf verzichten, diese an den Kategorien des Bisherigen zu messen. Daher ist es einfach falsch, die „neue Linke“ als Kommunisten, Kryptokommunisten und „fellow-travellers“ zu etikettieren. Ich sage dies nicht, um die „neue Linke“ harmlos erscheinen zu lassen. Daß wir eine ernste und beileibe nicht eine harmlose Sache vor uns haben, möge die Antwort zeigen, die mir ein Student aus Berlin gab, als ich ihn fragte, ob er seine stark an Marx orientierte Terminologie nicht so ändern könne, daß sie nicht mit der Diktion der DDR zusammen- flele. Er gab mir zu Antwort, dies sei für ihn kein Problem, er kritisiere in eindeutiger Weise die DDR — von links.

Die Auseinandersetzung mit der „neuen Linken“ an den Hochschulen sollte mit einer kritischen Analyse der These, ohne Änderung der Gesellschaft könne an den Hochschulen nichts ernstlich besser werden, beginnen. Dabei hat sich die kritische Analyse vor allem mit der Behauptung auseinanderzusetzen, die Gesellschaft könne nur anders als mit den Mitteln einer als manipuliert angesehenen Parteien- und Parlamentsdemokratie verändert werden.

Hochschule — Ort der Unruhe

Es kommt den Hochschulen in der Tat zu, ein Ort der Unruhe in der Gesellschaft zu sein. Es kommt ihnen zu, alles in Frage zu stellen, was fragwürdig geworden ist. Der Versuch, als Gewissen der Gesellschaft zu wirken, liegt im Bereich der Verantwortung der Hochschulen. Er stellt — was heute fast immer übersehen wird — das kritische Fragen unserer Tage in die große Tradition der abendländischen Universität, von der die Männer der „neuen Linken“ freilich nicht viel wissen wollen.

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