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Dynamisierte Rechtsordnung

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Daß Österreichs Rechtsordnung — größtenteüs aus beschaulicheren Tagen stammend — von Phänomenen der hoch industrialisierten Leistungsgesellschaft überwuchert ist, scheint eine Binsenweisheit. Zu laut und alltäglich ist der Ruf nach Reform von Normen, die sich von der gesellschaftlichen Realität entfernt haben, zu weit klaffen bisweilen Gesetz und Entwicklungsgrad der Gesellschaft auseinander.

Um die Rechtsordnung zu dynamisieren und um die rechtspolitischen Zielvorstellungen des ÖAAB zu präzisieren, arbeitete der „rechtspolitische Ausschuß“ des ÖVP-Hoffnungsbun- des unter Vorsitz von Professor Schambeck ein „Papier“ aus: „Der Mensch — Mittelpunkt des Rechtes.“ „Mit diesem Papier“, so stellt

Schambeck fest, .haben wir eine rechtspolitische Grundsatzerklärung abgegeben, die Basis für konstruktive Gespräche sein wird. Nur wenn wir vom Grundsätzlichen her denken“, so der Professor für öffentliches Recht an der Linzer Hochschule, „können wir die konkreten Ansätze, die in nächster Zeit zu bewältigen sind, in den Griff bekommen.“ In „voller Bündeharmonie“ wurden „programmatische Aussagen erarbeitet, die die demokratischen, bundes- und rechtsstaatlichen Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung und die Ziele des Sozi’al- staates voll anerkennen“. Der ÖAAB unterstützt die Bemühungen um die Neufassung der Grundrechte (an denen seit Jahren gearbeitet wird), fordert allerdings den Einbau internationaler Übereinkommen, wie etwa Bestimmungen der europäischen Sozialcharta. Weiters, und das erscheint besonders wichtig, weil bisher wenig beachtet, soll die für eine Demokratie unerläßliche Funktion der Massenmedien grundsätzlich in der Verfassung verankert werden, genauso wie die vor Eingriffen ebendieser Medien zu schützende Intimsphäre des einzelnen. Der Abbau von Privilegien, die ihren Ursprung im staatsrechtlichen Denken einer konstitutionellen Monarchie haben, die Verbesserungen bestehender Rechtsschutzeinrichtungen und die Verstärkung der Möglichkeit, unmittelbarer Demokratie zu üben, sollen, nach Vorstellung der ÖAAB- Rechtsexperten, das Individuum in stärkerem Maße als bisher in den demokratischen Willensbildungspro- zeß einschalten: „Daher soviel unmittelbare Demokratie als möglich.“ Soll der juridische Kemsatz: Unkenntnis schützt vor Strafe nicht, nicht infolge der zunehmenden Differenzierung unserer Rechtsordnung zur Farce werden, dann muß „die Öffentlichkeit in allgemein verständlicher Form umfassend über Gesetze informiert und der einzelne Staatsbürger über seine persönlichen Rechte und Pflichten in der Gemeinschaft auf dem laufenden gehalten werden“. Allgemein: „Zur Rechtsbereinigung muß die Vereinfachung des Rechtes hinzutreten.“

Kernstück des ÖAAB-Forderungs- kataloges ist „die Schaffung eines modernen Famüienrechtes mit dem Ziel der Erhaltung, Sicherung und Förderung von Ehe und Familie“. Auf der Grundlage des Prinzips der ehe- und familienrechtldchen Partnerschaft von Mann und Frau möge „die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Stellung der Frau wesentlich verbessert werden. Vor allem soll die Leistung der verheirateten Frau im Haushalt durch einen selbständigen Anspruch auf soziale

Sicherung anerkannt werden“. Obwohl der Grundsatz, daß die Ehe auf Lebenszeiten angelegt ist, voll gewahrt bleiben muß, ist „für den Fall ihres Scheitems im Bereich des Scheidungsrechteis das Verschuldensprinzip einzuschränken, das Zerrüttungsprinzip hingegen auszubauen“. Freüich hat bei Regelung der Scheidungsfolgen das seelische und geistige Wohl der Kinder vorrangig berücksichtigt zu werden.

Als vordringliche Änderungen der Rechtsordnung sieht der Arbeiterund Angestelltenbund „gesetzliche Regelungen des Dienstnehmerschutzes und den Ausbau der individualrechtlichen Schutzeinrichtungen der Arbeitnehmer, insbesondere gegen ungerechtfertigte Kündigung oder Entlassung“.

Der Mängelkatalog ist aufgestellt, „der ÖAAB hat Position bezogen“ (Schambeck). Anders ausgedrückt: Ein hübsches Bukett von Forderungen ist gesammelt. Die nächste Zeit wird notwendig im Zeichen des Ringens um die Anpassung von Normen an die Wirklichkeit stehen.

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